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Wenig wissen und trotzdem handeln
Eröffungsrede an Tagung "Gesundheit und Mobilfunk" der Schweizerischen Interessengemeinschaft Baubiologie/Bauökologie, vom 2. September 2005, an der ETH Zürich.

Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Lernschwierigkeiten: Mobilfunk verursacht bei vielen von uns Unbehagen. Kaum eine neue Technologie wurde in den letzten Jahren so rasant und flächendeckend eingeführt wie Handys. Statt weiterzuwursteln und in zehn Jahren die Folgen ausbaden zu müssen, ist es nötig, jetzt die Weichen in Richtung Vorsorge zu stellen.

Statistisch sterben sie demnächst aus, Schweizerinnen und Schweizer ohne Handy: 6’188’793 Abos der handlichen und oft nervenden Kommunikationsapparate waren per Ende 2003 registriert. Bestimmt hat jemand von Ihnen die aktuelle Zahl, und sie dürfte um eine halbe Million höher liegen. Und ich gebe zu: Auch ich habe eben mein zweites dieser Dinger gekauft. Verallgemeinernd profitieren wir also alle von dieser Technologie, wenn nicht als Besitzerinnen und Besitzer eines Handys, so doch, indem wir die meisten Personen im Privaten und Beruflichen einfacher erreichen können als noch vor zehn Jahren.

Die positiven Seiten liegen also auf der Hand und werden von der Mobilfunkindustrie auch ausgiebig in der Werbung breit geschlagen: Mehr kommunizieren sollen wir in Zukunft – und schon heute tun wir es mobil oft häufiger, als uns lieb ist.

Doch die echten Nachteile sind nicht die tütenden Nervensägen im Zugsabteil oder die störenden Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit. Buchstäblich «ans Lebendige» gehts, wenn sich jene Vermutungen bestätigen, die von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung durch nicht-ionisierende Strahlung, die NIS, ausgehen. Und das Problem nimmt täglich zu: Wer die Baupublikationen in der Tageszeitung verfolgt, sieht, wie eifrig weiterhin am Mobilfunk-Netz geknüpft wird. Für Schnickschnack wie Video-Telefonie oder Live-TV wird derzeit die UMTS-Technologie aufgebaut. Rund 40’000 Mobilfunk-Sender sind heute in Betrieb. Für UMTS werden Tausende dazukommen.

Die Crux liegt darin, dass hieb- und stichfeste Beweise für eine Schädigung oder auch nur Störung der Menschen stark umstritten sind. Konsequent folgt auf jede Studie eine Gegenstudie. Wie kann es weitergehen?

Zum einen ist unbestritten, dass wir die Forschung, und zwar die unabhängige Forschung, vorantreiben müssen. Im Juni 2003 forderte ich vom Bundesrat, es sei ein Projekt «Sanfter Mobilfunk» zu lancieren. Dieses hätte zeigen sollen, wie eine Mobilfunkversorgung mit tiefen Belastungswerten in der Schweiz aussehen könnte. Eine Mobilfunkversorgung, die sich nicht ausschliesslich am Bedürfnis der mobil telefonierenden Kundschaft orientiert, das, so nebenbei, von der Branche gezielt erzeugt wird. Sondern eine, welche die gesundheitliche Unversehrtheit und das langfristige Wohlbefinden der ganzen Bevölkerung zur Leitlinie hat. Denn während laufend neue Baugesuche für Mobilfunkantennen eingereicht werden, steigt der Widerstand. Ganze Gemeinden verabschieden auf Druck von schlaflosen Einwohnerinnen und Einwohner ein Mobilfunk-Moratorium. Eben hat zwar die Zürcher Regierung die Gemeinde Stäfa zurückgepfiffen. Die Baubehörden müssen Antennen-Baugesuche wieder prüfen. Doch der juristische Hickhack zeigt, dass nicht nur einzelne angebliche Querulanten sich nicht mit dem immer dichteren Antennenwald abfinden wollen. Vielmehr wächst in breiten Kreisen das Unbehagen, sich mit der Handy-Technologie eine Belastung aufzubürden, die langfristig zu einer ernsten Gesundheitsbelastung werden könnte.

Der Bundesrat wollte damals von der Idee «Sanfter Mobilfunk» nichts wissen. Möglicherweise hatte meine Intervention trotzdem etwas bewirkt. Vor bald einem Jahr bewilligte der Bundesrat das Nationale Forschungsprogramm (NFP) «Nicht-ionisierende Strahlung – Umwelt und Gesundheit», bis Herbst 2005 können Projekte eingereicht werden. Mit einem Budget von 5 Millionen Franken soll in den kommenden vier Jahren die Wirkung von nicht-ionisierender Strahlung auf Umwelt und Gesundheit wissenschaftlich untersucht werden. Ebenfalls mit Buwal-Unterstützung wiederholt derzeit die ETH Zürich jene Studie des niederländischen TNO-Labors, die vor zwei Jahren den Mobilfunk-Kritikerinnen und -Kritikern neue Munition geliefert hatte.

Untersuchungen sind notwendig, keine Frage. Doch die Unsicherheit wird bleiben, selbst wenn das NFP Entwarnung geben sollte. Denn Langzeitfolgen sind bei dieser jungen Technologie noch nicht abschätzbar. Entsprechend sind Möglichkeiten zu prüfen, die den Einfluss der NIS möglichst reduzieren.
  • 70 Prozent der Handys werden daheim benutzt. NatĂĽrlich haben die Mobilfunkbetreiber alles Interesse daran, Gespräche zu vermitteln – aber ganz offensichtlich entfallen zwei Drittel der SMS und Telefonate auf Orte, wo in den allermeisten Fällen ein Fixanschluss vorhanden ist. Vor Jahren forderte die Schweizerische Energie-Stiftung einen Zuschlag von einem Rappen pro Gesprächsminute auf dem Mobilfunknetz. Mit diesem Geld liesse sich die unabhängige Risikoforschung fördern. Zum andern könnte eine «Handy-Steuer» die Sensibilität der Kundschaft schärfen. Ob ein oder mehr Rappen pro Gesprächsminute, das wäre abzuklären. Denn das Beispiel der Tabaksteuer zeigt, dass die Schmerzgrenze relativ hoch ist. Das so geäufnete Geld dĂĽrfte aber auf keinen Fall einfach in der Bundeskasse verschwinden, sondern mĂĽsste zweckgebunden in die neutrale Forschung oder in die Information der Bevölkerung gehen. Denn einzelne Forschungsarbeiten zeigen, dass Kinder und Jugendliche von NIS besonders betroffen sein können. Bekanntlich sind Handys in den jĂĽngeren Altersgruppen besonders verbreitet – mehr Sensibilisierung und Warnung wäre hier notwendig.
  • Wir haben drei Anbieter, die sich im Mobilfunkbereich konkurrenzieren, weitere dĂĽrften dazukommen. Dass die drei je ein eigenes Netz aufbauen, ist betriebswirtschaftlich, aber eben auch aus GrĂĽnden der Prävention unverständlich. Hier mĂĽsste das Bakom dringend Vorgaben fĂĽr Kooperationen machen, um die Belastung der Bevölkerung auf ein Minimum zu senken.
  • Die Schweiz brĂĽstet sich, einen um den Faktor zehn tieferen Grenzwert zu haben als die meisten europäischen Länder. Wie jeder Grenzwert wurde auch dieser einmal festgesetzt. Neue Erkenntnisse können und sollen dazu fĂĽhren, dass dieser Grenzwert ĂĽberprĂĽft wird.
  • Neben den Gesundheitsfolgen darf nicht ĂĽbersehen werden, dass es drastische volkswirtschaftliche Auswirkungen der neuen Technologie gibt. Neben den Vorteilen wie neuen Arbeitsplätzen sinkt der Wert all jener Immobilien, auf denen ein Mast steht oder die im näheren Einzugsgebiet einer Sendeanlage stehen. Die Zahl der betroffenen Liegenschaften nimmt tagtäglich zu. Mit einem diesen Sommer eingereichten Vorstoss verlange ich vom Bundesrat einen Bericht, der darlegen soll, inwieweit der Betrieb von Mobilfunkantennen die Wohnungsmieten und den Wert von Liegenschaften beeinflusst, insbesondere ob und inwieweit GrundeigentĂĽmer damit zu rechnen haben, dass sich der Wert ihrer Liegenschaft verändert, wenn auf der Liegenschaft oder in deren Umgebung eine Mobilfunkantenne betrieben wird.
  • Dramatisch ist in diesem Zusammenhang auch die Verschuldung vorab jugendlicher Kundinnen und Kunden, die ihr Mobilfunk-Verhalten nicht im Griff haben.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Auf keinen Fall predige ich hier die Maschinenstürmerei. Wie erwähnt benutze auch ich mein Handy. Aber die Technologie ist jung, viel zu jung, um pauschal Entwarnung zu geben. Angesagt ist viel mehr ein kritischer, skeptischer Umgang damit, eine Begleitforschung und dämpfende Leitplanken, um im Fall wissenschaftlich belegter negativer Gesundheitsfolgen nicht vor vollendeten Tatsachen zu stehen.

Die gescheiterte Volksinitiative für ein Mobilfunk-Moratorium hatte damals zu einer Lähmung der Opposition und zum Abwürgen einer kritischen Diskussion des Themas geführt. Es ist dringend, dass dies ändert, dass Ansätze zur Limitierung der Belastung, wie wir sie aus dem Ausland (Stichwort Salzburg) kennen, unvoreingenommen diskutiert werden. Und dass wir eigene Ideen entwickeln.

Umso verdienstvoller ist es, dass sich diese öffentliche Tagung seriös des Themas annimmt. Ich bin sehr gespannt auf die Referate und freue mich auf die Diskussionen, die hoffentlich weit über diese Tage hinaus andauern werden.

Besten Dank.  
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