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Öffentliche Ringvorlesung an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen, Sommersemester 2002

"Globalisation ist tödlich. Globalisation ist dann tödlich, wenn der Wirtschaft Priorität gegeben wird."

Diese These könnte aus einem Grundsatzpapier der Kritikerinnen und Kritiker der laufenden Globalisierungsbestrebungen stammen. In Tat und Wahrheit stammt sie aber von Rubens Ricuperto, dem Generalsekretär der UNO-Unterorganisation UNCTAD, der vor zwei Jahren in Bern referierte. Ich stimme dieser These zu: "Globalisation ist tödlich. Globalisation ist dann tödlich, wenn der Wirtschaft Priorität gegeben wird." Das ist schnell gesagt. Schwieriger ist es, zu versuchen in der mir zur Verfügung stehenden Zeit komplizierte Zusammenhänge aufzuzeigen. Diesem Anspruch kann ich nicht gerecht werden. Ich werde deshalb versuchen mögliche Lösungsansätze zu einer gerechteren Globalisierung aufzuzeigen. Dabei komme ich nicht darum herum, eingangs auf die Realitäten, auf Missstände, auf die Entwicklung der letzten Jahre hinzuweisen.

Ich habe mir bei der Vorbereitung überlegt, wieso eigentlich gerade ich die gegenwärtige Entwicklung der Globalisierung so kritisiere? Die tiefere Auseinandersetzung mit der Globalisierung und deren Folgen hat bei mir stark mit meiner persönlichen Erfahrung zu tun. Und diese Erfahrung geht weit zurück. Als ich in den 80er Jahren drei Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit in Papua Neu Guinea tätig war, hatte ich verschiedene Entwicklungen einfach nicht verstanden. Ich konnte kaum glauben, dass die Kaffeepreise des Landes weitgehend vom internationalen Markt geprägt wurden. Ich musste feststellen, dass die Kaffeebauern von Papua Neu Guinea vom Weltmarkt abhingen. Das jeweils im Voraus in Aussicht gestellte Einkommen war keineswegs gesichert, die lokale Bevölkerung war den Weltmarktpreisen hilflos ausgeliefert. In den 60er Jahren wurden – auf Empfehlen der Handelsexporteure, meist Australier oder Japaner, – ganze Kokosnussplantagen mit Giftinjektionen buchstäblich zu Tode gespritzt. Das Ziel: Die Landfläche war frei für Kaffeepflanzungen. Wenige Jahre später fielen die Preise für die lang ersehnte Kaffeeernte. Die ländliche Bevölkerung kam nicht zu ihrem Einkommen. Dadurch fehlte unter anderem das Geld um die Kinder zur Schule zu schicken oder um SchulabgängerInnen eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Auch wenn damals noch niemand das Wort Globalisierung aussprach, dieses Beispiel zeigte die weltweite, die globale Vernetzung der Wirtschaft auf. Meine drei Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit in Papua Neu Guinea und mein seither grosses Interesse für internationale Zusammenhänge haben mich sensibilisiert für die Folgen westlichen Handelns und Handels.

Ich hatte im Januar letzten Jahrs in Davos an einem Podiumsgespräch mit Klaus Schwab, dem Gründer des WEF teilgenommen. Als Einleitung in den Abend im Pfarrgemeindesaal führte er uns eine Multivideoshow vor: Bilder vom Elend im Süden und in Kriegsgebieten. Bilder auch von technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte – einfach Fakten. Und Klaus Schwab erklärte anschliessend, dass die weltweiten Probleme nur gemeinsam gelöst werden könnten. Damit gehe ich mit ihm einig. Ich glaube aber nicht, dass wir die weltweiten Probleme mit den Methoden der Vergangenheit lösen können. Johann Galtung sagt es so: Wenn wir die Zukunft mit Denken und Handeln von gestern gestalten, bekommen wir die Krisen von heute.“ Ich bin überzeugt, dass wir umdenken müssen. Dass wir den Konzepten der heutigen Global Players etwas entgegensetzen müssen, und sei es als erste Möglichkeit nur einmal den Protest in seinen verschiedensten Formen.

Meine Kritik richtet sich gegen die Art und Weise der Globalisierung von Handel und Kapital der letzten Jahre. Mir ist es ein Anliegen, die Folgen dieser Globalisierung zu thematisieren. Die Folgen für die Länder des Südens, aber auch für uns.

Globalisierung ist nicht a priori schlecht. Der Ausdruck Globalisierung ist zu einem Schlagwort verkommen. Für die einen bedeutet Globalisierung Allheilmittel zur Lösung von Problemen, für die anderen ist die Globalisierung eher die Ursache dieser Probleme. Doch so einfach ist es nicht. Globalisierung ist ein sehr komplexer, vielschichtiger und vieldimensionaler Prozess, und so sollte man eigentlich von Globalisierungen im Plural sprechen. Umfassend gesehen bedeutet Globalisierung das Niederreissen von Grenzen in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Technologie und Ökologie. Die Überwindung der Grenzen, die Überwindung der zeitlichen Distanz ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch die Angleichung der Lebensstile ist ein Merkmal der Überwindung von Grenzen. Globalisierung bedeutet mehr als die Internationalisierung des Wirtschaftens. Sprechen wir von wirtschaftlicher Globalisierung, so ist etwa gemeint, was ein Präsident eines der mächtigsten Konzerngruppen der Welt folgendermassen beschreibt: "Ich definiere Globalisierung als die Freiheit unserer Firmengruppe, zu investieren, wo und wann sie will, zu produzieren, was sie will, zu kaufen und zu verkaufen, wo sie will, und alle Einschränkungen durch Arbeitsgesetze oder andere gesellschaftliche Regulierungen so gering wie möglich zu halten." Dieses Zitat bringt es auf den Punkt: Die globalisierte Wirtschaft verlangt eine sehr egoistisch verstandene Freiheit ohne so genannte Fesseln. Ausgeblendet wird bei dieser Sichtweise die Notwendigkeit, dass auch eine soziale und ökologische Globalisierung notwendig ist, die Respektierung der Menschenrechte.

Die wirtschaftliche globale Entwicklung der letzten Jahrzehnte beruhte – und beruht noch heute – auf der Einsicht, dass Staaten, wenn sie sich wirtschaftlich nicht abschliessen, sondern mit anderen Volkswirtschaften in einen offenen Austausch treten, gegenseitig davon profitieren und Wohlstandsgewinne erzielen. Im Glauben daran haben Regierungen ihre Schutzwälle um ihre Volkswirtschaften abgetragen. Zölle und mengenmässige Importbeschränkungen haben ihre Schutzfunktion für einheimische Produkte eingebüsst.

Nicht nur Güter und Dienstleistungen werden weltweit verkauft und eingekauft, ohne dass sie grosse Hürden zu überwinden hätten, sondern auch das Geld ist von nahezu allen staatlichen Fesseln und Grenzen befreit. Es findet sich überall dort ein, wo es entweder als Investition in ein Unternehmen oder auf den Finanzmärkten anderer Staaten eine gute Rendite verspricht. Das hat dazu geführt, dass schon seit Jahren weltweit ständig ein Vielfaches der Geldsumme kursiert, die für die Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen eigentlich ausreichen würde. - Umgekehrt wird Geld überall dort weggezogen, wo Staatsverschuldung oder die Konjunktur schlecht ist, was häufig noch zu einer deutlichen Verschlimmerung der Lage führt, wie derzeit Argentinien vorführt.

Die Transnationalen Konzerne "verdienen" heute sehr viel mehr Geld auf den Finanzmärkten als mit der Güterproduktion. Die Finanztransaktionen und Spekulationen nehmen schwindelerregende Ausmaße an. Ich habe in einem Fachartikel einer führenden Ökonomin (Margrit Kennedy) gelesen, dass nur noch 3% aller weltweiten Finanztransaktionen (manche sprechen von gar nur mehr 0,5 %) auf den realen Handel von Gütern und Dienstleistungen fallen, die restlichen 97% des Welthandels bilden eine Blase spekulativen Geldes. Die Welt wird auf ein einziges riesiges Unternehmen - eine Spielbank, daher der Ausdruck Casino-Kapitalismus – reduziert. Das alles geschieht ohne jegliche soziale und ökologische Rücksichtnahme. Diejenigen, die dies betreiben, übernehmen keine politische Verantwortung. Sie haben auch keine Sorgen, wieder gewählt zu werden. Sie müssen allein den Verwaltungsräten oder den Aktionären jedes Jahr eine grosse Rendite vorweisen.

Diese weltweite Öffnung der Märkte sowohl für Waren wie für Geld hat sich durch eine Reihe sehr unterschiedlicher Faktoren sprunghaft beschleunigt. An prominenter Stelle zu nennen sind Innovationen im Bereich der Mikroelektronik (Computertechnologie), der Telekommunikation sowie Methoden zur Gewinnung, Übertragung und Speicherung von Informationen. Sie haben es möglich gemacht, die Welt mit einem dichten Kommunikationsnetz zu überspannen, das nahezu jeden Punkt dieser Erde in oft nur Bruchteilen von Sekunden erreichbar werden lässt. Der vergleichsweise schwerfällige Transport etwa von Papier per Post ist durch das Internet und Satelliten in vielen Bereichen überflüssig geworden. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass nur ein kleiner Teil der Menschen auf unserem Planeten Erde Zugang zu dieser neuen Technologie hat. Es sind die Menschen im Westen und die Reichen im Süden.

Die allgegenwärtige Globalisierung macht auch vor den Schweizer Grenzen nicht halt. Ob wir uns als Teil Europas, als Teil der Welt oder als eigenständiger, unabhängiger Nationalstaat definieren: der Geist der Globalisierung hat in seiner Ausprägung der neoliberalen Deregulierung und Privatisierung viele Bereiche unserer Gesellschaft durchdrungen. - Stichworte dazu sind etwa das Post- und Fernmeldewesen. Oder wenn im Nationalrat Moritz Leuenberger Fragen zur SBB, etwa bezüglich Lärmproblemen, zu Linienführungen, zum Speisewagenangebot Fragen gestellt werden, reagiert er meist ziemlich genervt mit dem Hinweis, dass wir – das Parlament – die Bahnen in die unternehmerische Freiheit entlassen hätten und der Bundesrat nun eigentlich nicht mehr zuständig sei. Und er fügt dann jeweils auch gütig bei, dass er die entsprechende Sorge oder Frage der SBB weitergeleitet habe. Nebenbei bemerkt: Nachdem vor ein paar Jahren angeblich nur die Vergabe der Zug-Verpflegung an zwei Unternehmen die Qualität sichern konnte, wurde jetzt mit demselben Argument die Speisewagen-Bewirtschaftung wieder an eine einzige Firma vergeben.

Im Gesundheitswesen nehmen die Bestrebungen zu, öffentlich rechtliche Institutionen in Aktiengesellschaften zu überführen. Der Bundesrat spielte bei den Verhandlungen zum Dienstleistungsabkommen an der WTO-Ministertagung in Katar eine zwiespältige Rolle. Einerseits treibt er im Rahmen der WTO die weltweiten Möglichkeiten der Privatisierung von bisher öffentlichen Diensten inklusive Gesundheitsleistungen voran. Andererseits erklärt er, dass die internationale Marktöffnung für das staatliche schweizerische Gesundheitssystem nicht zur Debatte stehe. Demnach könnte es bei all den in der Schweiz bereits vorhandenen Privatisierungsabsichten nach der Realisierung des vorgesehenen GATS ein Leichtes sein, der systematischen Privatisierung unseres Gesundheitssystems Tür und Tor zu öffnen. Was innenpolitisch auf grossen Widerstand stösst, könnte so über die Aussenwirtschaftspolitik zu einem Systemzwang werden.

Der Globalisierungsgeist verlangt nach weniger Staat. Dies äussert sich auf Bundesebene in verschiedensten Bestrebungen auch im Gesundheitswesen. Stichworte dazu sind in der Sprache des New Public Managements (NPM) Outsourcing und Downsizing. Downsizing im Gesundheitssystem heisst in der Sprache des SVP-Präsidenten Ueli Maurers: "Wir müssen wegkommen von der staatlichen Vollkaskoversicherung." (Zitatende). Oder Ständerat Eugen David, Verwaltungsratspräsident der Krankenversicherung Helsana, wird deutlicher und hat schon anfangs letzten Jahrs mehrere Einschränkungen des Leistungskatalogs vorgeschlagen. Da sind klare geschäftliche Absichten erkennbar: Mit dem Abbau der solidarischen Krankenversicherung öffnen sich die Möglichkeiten für gewinnträchtige private Zusatzversicherungen. Solche und ähnliche Absichten gilt es, rechtzeitig zu durchschauen und aus der Bevölkerung entsprechend zu reagieren. Im ganzen gesehen ist die Bevölkerung bei neoliberalen Gesundheitsreformen mit der Beschneidung der politischen Einflussmöglichkeiten, dem Abbau der Versorgungssicherheit und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gleich drei Grundrisiken ausgesetzt, ohne dass hiermit eine wesentliche Kostenreduktion zu erwarten ist.

An verschiedenen Beispielen der jüngsten Schweizer Geschichte kann aufgezeigt werden, dass der Geist der Liberalisierung nach dem Motto: "Gewinne den Privaten – Verluste / Sanierungen dem Staat" die falschen trifft. Stichwort Schweizer Airline. Ich brauche hier nicht lange auszuführen, dass ausgerechnet die Partei, welche die grösste Wirtschaftskenntnis auf ihre Fahne schreibt, in der Führung versagt hat und dieselbe Partei, die nach überall nach Privatisierung schreit, die hohle Hand machte. Auch solche Mechanismen sind zu durchschauen.

Zurück zur globalen Dimension. Die Möglichkeiten der grenzenlosen Güterverschiebung haben leider nicht zu mehr ethischem Handeln geführt. Im Gegenteil, ethisches Handeln scheint kein Thema zu sein. Die Wirtschaft hat sich zunehmend aus der Gesellschaft herausgelöst und operiert über die Grenzen der Staaten hinweg. Anderseits wirkt sie aber über Sachzwänge auf diese zurück. Die mächtigen transnationalen Konzerne, die zwei Drittel des Welthandels bestreiten, können Arbeitsplätze frei abschaffen oder auslagern, Nationalstaaten oder einzelne Produktionsorte gegeneinander ausspielen, Infrastrukturleistungen eines Staats beanspruchen, die Steuern aber in einem anderen zahlen. Der internationale Standortwettkampf um Investitionsentscheide bewirkt eine negative Abwärtsspirale, ein Sozial- oder Öko-Dumping: Geringe Löhne und soziale Sicherung, günstige steuerliche Regelungen und niedrigere Umweltstandards bringen den betroffenen Staaten so genannte Wettbewerbsvorteile. Und die betroffene Bevölkerung bleibt buchstäblich auf der Strecke und hat das Nachsehen.

Ich möchte diese Aussagen mit einem Beispiel aus Brasilien verdeutlichen. Eine Ford-Fabrik im Camaçari produziert täglich 800 Neuwagen. Die Firma suchte sich in Brasilien eine Region, wo ihre Bedingungen erfüllt werden. Die Forderung lautete: Steuerfreiheit während 20 Jahren. Und das Land für den Bau der Fabrik musste gratis sein. Solche und ähnliche Beispiele gibt es viele. Es geht meist um das gleiche: Rendite, tiefere Umweltauflagen als im westlichen Herkunftsland und die Freiheit wieder abziehen zu können, sobald die Rendite zu klein ausfällt. Zurück bleiben Massen von Arbeitslosen in den Industrieagglomerationen. Man sagt, dass zum Beispiel in Brasilien von zehn Firmen, welche wöchentlich eröffnet werden, acht innert Monaten oder weniger Jahre wieder schliessen.

Die Folgen der wachstums- und profitorientierten Wirtschaft sind massive Umweltzerstörung, Plünderung unseres Planeten, immer mehr Abfallstoffe und Emissionen sowie eine weltweit zunehmende soziale Armut.

Bundesrat Kaspar Villiger sagte am Eröffnungspodium der Eröffnungskonferenz des Public Eye der Erklärung von Bern, in NY, anfangs Februar dieses Jahres: "Zwei Drittel der Menschen sind von den Chancen, wie wir sie in der industrialisierten Welt geniessen, ausgeschlossen. Es hungern immer noch zu viele Menschen, und an zu vielen Orten werden die Menschenrechte mit Füssen getreten." Die Globalisierung, so Villiger, biete viele Chancen und habe Millionen von Menschen von Armut und Hunger befreit. Er ist der Meinung, dass die Globalisierung Wohlstand schaffe und das Gefälle zwischen Armen und Reichen reduziere. Wenn man genauer hinschaut – und die entwicklungspolitische Vereinigung Erklärung von Bern macht dies laufend – zeigt sich ein anderes Bild. Die Globalisierung hat weltweit die Wachstumsraten verringert. Das Pro-Kopf-Einkommen von 116 Ländern nahm in den Jahren vor der rasanten Globalisierung, das heisst von 1960 bis 1980, um 83% zu. Von 1980 bis 2000 dagegen nur noch um 33%. In mehr als drei Vierteln der Länder nahm das Wachstum in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich ab, ebenso die Fortschritte bei der Lebenserwartung. Die Statistiken der UNO sind eindeutig: Seit 1960 nimmt der Unterschied zwischen reichen und armen Ländern kontinuierlich zu. Ebenso sind die Einkommensunterschiede innerhalb der Länder grösser geworden. Ob und wie wir dies wahrnehmen hat auch viel mit den Medien zu tun. Nochmals das Beispiel Brasilien. Im Februar dieses Jahres titelte im Wirtschaftsteil des St.Galler Tagblatts ein Beitrag über Brasilien mit: "Brasilien hält durch". Weiter: "Die Krise in Argentinien bringt das Nachbarland Brasilien nicht vom Wachstumskurs ab. .... "

Fast gleichzeitig, einige Wochen vorher im Wirtschaftsteil einer brasilianischen Tageszeitung: "Bahia (ein Staat, eine Region in Brasilien) hat den grössten Anteil von Verelendeten. Zahlen zeigen, dass Baianos unter unmenschlichen Bedingungen zu leben hat. ...". Die Menschen in Baianos würden wohl etwas staunen über die Berichterstattung hier. Ohnehin fällt in der Berichterstattung der meisten Medien auf, wie prominent wirtschaftliche Themen platziert werden. Soziales und Entwicklungspolitisches hingegen findet allenfalls auf der Letzten oder im Kulturteil statt. Warum machen die Wirtschaftsressorts nicht öfter die Auswirkungen des wirtschaftlichen Handelns zum Thema?

Zurück zu Bundesrat Villiger in NY, am Public Eye. Der Bundespräsident bezeichnete die Globalisierung als "vom Motor des technischen Wandels angetrieben" und daher "objektiv irreversibel". Dem stimme ich nicht zu, nicht in der absoluten Aussage "irreversibel" jedenfalls. Globalisierung ist nicht bloss ein aufgezwungener Prozess, sondern das Ergebnis einer ganz bestimmten Politik, die auch anders gestaltet werden könnte.

Die angestrebt liberale Wirtschaftsordnung (weg mit Vorschriften - weg mit Handelseinschränkungen - freier Zugang zu allem) hat dazu geführt, dass die Reichen dieser Erde reicher geworden und die Armen noch ärmer geworden sind. Dies kann doch nicht das Ziel sein. Und vielleicht die gravierendste Folge dieser Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik ist die damit einhergehende Entdemokratisierung. Entscheidungen werden vermehrt ausserhalb von demokratisch gewählten Regierungen und Parlamenten getroffen. Es sind dann zum Beispiel die Verwaltungsräte der Aktiengesellschaften der Spitäler, die wichtige Entscheidungen treffen, anstatt demokratisch Gewählte. Für das Gesundheitswesen könnte dies heissen: Der Verwaltungsrat hat dafür zu sorgen, dass die der Aktiengesellschaft angeschlossen Spitäler rentieren. Mit den Globalbudgets kann die Verteilung der Finanzen eigenständig beschlossen werden. Damit wieder finanzielle Mittel reinkommen, ist die Versuchung gross, ein teures Untersuchungsgerät anzuschaffen und dann möglichst viele Untersuche zu machen, damit die Gelder reinkommen. Der Verwaltungsrat wird also der Versuchung unterliegen, dort zu investieren, wo Gelder reinkommen, also in Apparate und nicht in Personal. Die Qualitätssicherung kann damit an zweite Stelle rutschen. Es muss nur rentieren.

Die Politik hat ihre Stärken der Wirtschaft abgegeben und zieht sich aus all jenen Bereichen zurück, wo es um die Regulierung der Konzerne geht. Eine direkte Folge ist der rasante Verlust an Demokratie. Es ist Bank A und Multi B, die über das wirtschaftliche Weiterkommen ganzer Staaten bestimmen, statt dass die vielzitierte, leider aber äusserst schwache Staatengemeinschaft der Wirtschaft moralische Leitplanken vorgibt. Kommt dazu, dass die theoretisch von der Politik gesteuerten internationalen Finanzinstitute IWF und Weltbank den Ländern des Südens unerfüllbare Auflagen machen. Ich bringe nochmals ein Beispiel aus Papua Neu Guinea. Weltbank und IWF fordern von der Regierung tiefgreifende Wirtschaftsreformen. Sie verlangen unter anderem, dass die staatliche "PNG Banking Corporation" verkauft wird, die einzige Bank, die noch in Regierungsbesitz ist. Des weitern sollen die Hafenverwaltung und das Telekommunikations- und Elektrizitätswerk privatisiert werden. Die Staatsverwaltung soll 7'000 Personen entlassen. Ausserdem soll das Land seine Grenzen für den Import weiter öffnen. Und gefordert wird eine so genannte "Modernisierung des Bodenbesitzes", was bedeutet, die 90 % des Landes in traditionellem Clanbesitz müssten in Privatbesitz übergehen, so würden ausländische Investoren angelockt und dem Land ginge es besser. Die Weltbank hatte sich schon ein Jahr zuvor bereit erklärt, ein Umstrukturierungsdarlehen von 210 Millionen US Dollars zu gewähren, wenn ihre Auflagen erfüllt würden. Diese Auflagen haben zunehmend Widerstand ausgelöst. Gegen all die Forderungen von IWF und Weltbank haben letzten Sommer 2'000 Studenten der Universität von PNG sowie rund 1000 Gewerkschafter und Arbeitslose fünf Tage friedlich vor dem Parlamentgebäude der Hauptstadt Port Moresby demonstriert. Dann löste die Polizei die Demonstration brutal auf. Vier Studenten waren auf der Stelle tot, zwei weitere erlagen später im Spital ihren Schussverletzung, viele wurden verletzt. Die internationalen Finanzinstitute tragen für solche Geschehnisse eine Mitverantwortung, sind sich aber dessen kaum bewusst. - Ihre eisernen Vorgaben zur Strukturanpassung führen oft zur Verarmung breiter Schichten. Das Reichtumsgefälle innerhalb und zwischen den Staaten wird immer grösser. Unqualifizierte Tätigkeiten werden in Billiglohnländer verlegt. Rentable Teile mit Wertschöpfung verbleiben hingegen immer im reichen Norden. Dieses wachsende Reichtumsgefälle ist eine direkte Folge der neoliberalen Politik, trotz des Geschwätzes vom so genannten globalen Dorf. Die Verliererinnen und Verlierer dieses weltweiten Ausbeutungs- und Profitwahnsinns sind einmal mehr die Ärmsten und Schwächsten. Vor allem Frauen kommen einmal mehr unter die Räder des Globalisierungszugs.

Um die Folgen globalisierter Ausbeutung zu kontrollieren, setzen der reiche Norden und Westen immer mehr auf ein Konzept der militarisierten Konfliktbewältigung. Die Nato nimmt ihren neuen Auftrag der "Wahrung ihrer Interessen" bald rund um die Welt wahr; Europa baut so genannte "Krisenreaktionskräfte» auf, um seine Eigeninteressen zu schützen. Europa, USA und Japan rüsten zum globalen Verteidigungskrieg für ihre Profitinteressen und Ausbeutungsstrukturen. Neoliberalismus und Neomilitarismus sind Waffenbrüder der Ausbeutung. Die Ideologie des "humanitären Kriegs", der Militärintervention zum Schutz von Menschenrechten, hat aber auch in Teilen der Linken und Friedensbewegten eingeschlagen und verfangen. Gefordert ist heute eine kritische Auseinandersetzung mit der neuen Rolle der Armeen und der neuen Ideologie des Militarismus weltweit.

Der Globalisierungszwang verlangt nach Liberalisierung und Abbau von sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen auch bei uns. Nur so können wenige auch in Zukunft ihren Reichtum sichern und vermehren. – Rationalisierungen, Arbeitsplatzabbau und Tiefstlöhne werden mit dem Totschlagargument der unternehmerischen Freiheit als einzige Möglichkeit des wirtschaftlichen Überlebens angepriesen. Für die Lohnabhängigen wird Freiheit aber ganz anders definiert. Für die Lohnabhängigen wird die angepriesene Flexibilisierung oft zu einem «Allzeit Bereit». (Lassen wir uns von diesen Scheinvorteilen nicht täuschen und wehren wir uns gegen eine unternehmerische Freiheit, die auf Kosten der Angestellten geht und den Service Public sabotiert.)

Auf der ganzen Welt kann man die Auswüchse einer globalisierten Wirtschaft beobachten. Die Handelsbeziehungen profitieren auf der einen Seite von globalisierten Kommunikationssystemen, auf der andern Seite verursachen sie eine starke Zunahme internationaler Transporte mit all ihren schädigenden Auswirkungen. Alle Aspekte des Lebens sind zunehmend der Vermarktung unterworfen. Das zeigt sich etwa im Bestreben von grossen Gentech-Labors und pharmazeutischen Multis wie Novartis. Novartis und Konsorten sind bestrebt, auf einzelne möglicherweise wertvolle Sequenzen des Erbguts Patente zu erlangen. Vor ihrer Jagd auf die genetischen Ressourcen sind weder die indigenen Völker des Amazonas noch Europa sicher Ein weiteres Kennzeichen der wirtschaftlichen Globalisierung ist die Abhängigkeit, in der die multinationalen Konzerne Menschen und Völker zwängen. Eines der eindrücklichsten Beispiele dafür ist die amerikanische Firma Monsanto, die steriles genetisch manipuliertes Saatgut produziert, das nur mit Hilfe von Pestiziden wachsen kann, die wiederum ausschliesslich Monsanto herstellt. Monsanto bindet die lokalen Bauern vertraglich, Pestizide von Monsanto zu verwenden . Noch schlimmer wird es, wenn in einem anderen Fall noch aktive Pollen in konventionelle Nachbarfelder geweht wurden: Zum einen war die Ernte gentechnisch verseucht, zum andern halste sich der ohnehin geschädigte Bauer eine Klage von Monsanto wegen widerrechtlich benutztem patentierten Saatgut ein.

Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung sind überall ähnlich, auch wenn sie in den südlichen Ländern viel dramatischere Ausmasse annehmen als in den Industrieländern. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr, sowohl im Inland als auch zwischen Nord und Süd. Der soziale Ausschluss findet auch bei uns statt. Die Mittelschichten geraten immer mehr unter Druck und drohen zu verschwinden. Der Kontrast zwischen Nord und Süd springt zwar weniger ins Auge als früher, weil es auch in den südlichen Ländern Reichtum gibt. Davon profitiert aber nur eine kleine Klasse: Kader von multinationalen Firmen, Finanzjongleure, korrupte Regierungen, Oligarchien und das Mafia-Milieu, während die Mehrheit der Menschen in der Misere versinkt. Gemäss dem Entwicklungsbericht der UNO vom Jahr 2000 verfügen 12% der Weltbevölkerung über 86% des Reichtums. Im Jahr 2004 wird nach Schätzungen eine Minderheit von 10% der Weltbevölkerung über 88% des Reichtums verfügen.

Den verantwortlichen Global Players, die auf Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung setzen, muss klar gemacht werden, dass es so nicht weitergehen darf. Das Primat der Politik und der Menschenrechte muss an die Stelle der Habgier der Besitzenden treten.

Noch rasch zur Frage: Wodurch wurde denn in den letzten Jahren die rasante Globalisierung ermöglicht? Man kann heute sagen, dass ein eigentlicher Globalisierungsschub durch folgende Faktoren bestimmt wird:
  • aussenwirtschaftliche Liberalisierung
  • innerstaatliche Deregulierung
  • technische Möglichkeiten
  • gesunkene Transportkosten
  • zunehmende Vereinheitlichung der Normen
Das sind wesentliche Faktoren, die den wirtschaftlichen Globalisierungsprozess vorangetrieben haben und noch vorantreiben.

Und welche Regeln und Akteure der wirtschaftlichen Globalisierung gibt es zwischen den Staaten? Um den internationalen Markt und Geldfluss zu regeln, gibt es drei hauptsächliche Akteure (neben den internationalen Konzernen): Die sogenannte "Institutional Trinity" (die institutionelle Dreieinigkeit):
  • Weltbank
  • Internationaler Währungsfonds (IWF)
  • World Trade Organisation (WTO)
Bezüglich der Praktiken der Weltbank habe ich eingangs die Forderungen an den Staat Papua Neu Guinea erwähnt. Den Weltbankverantwortlichen muss zugute gehalten werden, dass sie vor fünf Jahren in einem Bericht erkannt haben, dass ihre Kreditvergaben in Zukunft an die Bedingung der sogenannten Good Governance geknüpft werden soll. Eine gute Regierungsführung als Kriterium für eine Kreditvergabe zu verlangen ist eine sinnvolle Erwartung, auch wenn natürlich noch darüber diskutiert werden müsste, was denn genau unter "Good Governance" zu verstehen ist.

Zusammen mit der Weltbank stellt der IWF meist gemeinsame Forderungen an die Staaten. Den IWF kritisiere ich, weil er seine Kreditvergaben, meist unabhängig davon spricht, ob das Empfängerland Menschenrechte verletzt, oder sogar mit entsprechend finanzierten Projekten Menschenrechte verletzt werden. Bekannte Beispiele sind Staudammprojekte in der Türkei oder China. Durch diese Projekte werden Hunderte, ja Tausende Menschen obdachlos und müssen zwangsumgesiedelt werden. Oft werden Kredite trotz grosser weltweiter Proteste gesprochen. Und die offizielle Schweiz sitzt im selben Boot, anstatt eine Protestnote zu deponieren, wenn Projekte zu Menschenrechtsverletzungen führen. Noch schlimmer ist, die offizielle Schweiz spricht oft noch eine Exportrisikogarantie – trotz Einwänden von Menschenrechtsseite.

Theorie... Die WTO-Regeln basieren auf der Ansicht, ein freier Handel bringe weltweit den grössten ökonomischen Nutzen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die Märkte und nicht die Regierungen die Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen global bestimmen sollten. An der ersten Ministerkonferenz in Singapur 1996 stellten sich die Handelsminister eine Welt vor, in welcher der Handel frei fliesst. Dies werde grösseres Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand mit sich bringen; sie haben behauptet, der Nutzen würde allen, ja sogar der Umwelt zugute kommen.

...und Praxis sieht allerdings ganz anders aus: Von dieser allzu naiven Vorstellung ist man unterdessen abgekommen, einerseits unter dem Druck der Gegenbewegung von unten, aber auch angesichts vieler Finanzkrisen, sinkender Aktienkurse etc. Entgegen der Absicht, Wohlstand unter Wahrung der Nachhaltigkeit zu fördern – so steht es in der Präambel - haben die WTO-Regeln nicht dazu beigetragen, die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung zu verbessern. Es ist nicht gelungen, Umweltanliegen in die WTO-Regeln zu integrieren. Die Anliegen der ärmsten Länder werden wenig berücksichtigt.

Das höchste Organ der WTO ist die Ministerkonferenz der Wirtschafts- und Handelsminister, die mindestens alle zwei Jahre tagt. Sie entscheidet, welche Themenbereiche einbezogen werden. Vorbereitet werden die Entscheidungen in ständigen Verhandlungen, an denen die jeweiligen Wirtschafts-Attachés der Botschaften in Genf teilnehmen. Trotz ihrer Machtfülle wird die WTO weder von einem Parlament kontrolliert noch ist sie einer UN-Organisation rechenschaftspflichtig.

Meine Kritik an dieser institutionellen Dreieinigkeit "Weltbank, IWF und WTO" heisst: globale Entscheidungsstrukturen dürfen nicht von informellen und intransparenten Verfahren und Gremien bestimmt werden. Sie brauchen dringend eine demokratische und politische Kontrolle, welche die Mitbestimmung aller Betroffenen garantiert.

Weiter müssen wir uns gegen die Sachzwangpolitik der Globalisierer wehren. Denn die neoliberale Globalisierungsdoktrin hat versagt. Statt Probleme zu lösen hat sie neue geschaffen. Globalisierungsfreaks, die sich gegen soziale und ökologische Rahmenbedingungen sträuben, sind Totengräber demokratischer Errungenschaften. Die so genannte Sachzwangpolitik ist auch in der Schweiz seit langem spürbar, ja gehört zum Alltag. Als 1994 im Parlament das Welthandelsabkommen GATT und den Beitritt der Schweiz zur Welthandelsorganisation WTO absegnete, gab allein Jean Ziegler mit seiner einzigen Nein-Stimme ein Zeichen gegen die Akzeptanz von Sachzwängen. Die vereinigte Linke stimmte zu. Auch wir sahen keine andere Lösung. Abseitsstehen beurteilten wir als noch schlechter als den Zwang, mitzumachen.

Ich denke, es wäre wichtig, vermehrt auch auf parlamentarischer Ebene die Sachzwangpolitik zu hinterfragen. Viele junge Menschen, oft ausserhalb der Parteienlandschaft politisierend, sagen sich: "So kann es nicht weitergehen." Gegen diese Art der Globalisierung, durch die dem Kapital und Gütern schrankenlose Mobilität ermöglich wird, braucht es Opposition. Opposition gegen die Ausbeutung und die grenzenlose Ausdehnung des Profitwahns auf Kosten der Ärmsten und Schwächsten auf unserem Planeten. Wir dürfen uns nicht weiterhin mit dem Argument abspeisen lassen es gebe halt keine Alternativen. Das sogenannte TINA-Syndrom = There is no Alternative muss ausgerottet werden.

Ich bin überzeugt, wenn wir das Ziel klar vor Augen haben, gibt es sehr wohl Alternativen. Ich erinnere an den Kampf gegen das Apartheidregime im früheren Südafrika. Südafrika ist ein ermutigendes Beispiel, dass es auch in scheinbaren Sackgassen eine dritte Lösung gibt. Wir müssen uns bewusst sein, dass es sich bei all den Problemen nicht um Sachfragen, sondern um Machtfragen handelt. Wenn die Zivilbevölkerung in ihrem Widerstand wächst, wird sie ihre Wirkung haben und sie kann schon Erfolge vorweisen.

Seit Mitte der 90er-Jahre erscheinen die so genannten Anti-GlobalisiererInnen in der Öffentlichkeit, spätestens seit der WTO-Konferenz in Seattle sind sie zum Inbegriff einer neuen Widerstandsbewegung geworden. Kein Treffen der Eliten aus Wirtschaft und Politik kann mehr stattfinden, ohne dass es medienwirksam durch Massendemonstrationen gestört würde. Diese "neue" Bewegung ist aber nichts Homogenes. Das politische Spektrum ist breit und reicht von Umweltschützerinnen über Gewerkschaften, BäuerInnen, feministischen Gruppen, Basisbewegungen, Parteien bis hin zu autonomen Gruppierungen. Neu in der Widerstandsbewegung ist, dass sich Koalitionen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Landwirtschaft schmieden lassen. Gemeinsamer Nenner ist die Ablehnung der "neoliberalen" Weltordnung, der Kampf gegen das Feindbild eines "entfesselten" Kapitalismus.

Auch in der Schweiz sind in den letzten Jahren neue Gruppierungen gegen eine rücksichtslose, ausbeuterische Globalisierung entstanden. In der Bewegung attac haben sich Menschen lose zusammengeschlossen, um Debatten über die Globalisierung und deren Auswirkungen zu lancieren, zu analysieren und Lösungsansätze aufzuzeigen. Die ATTAC definiert sich selbst so: (ich zitiere) «Die Bewegung Attac versucht, die Bedeutung dieser Globalisierung zu verstehen und ausgehend von den Bedürfnissen der grossen Mehrheit der Weltbevölkerung Antworten zu formulieren.» Die Attac macht sich vor allem stark für eine gerechtere globale Finanzpolitik.

Ich habe im Februar an einer Tagung der Attac in Zürich teilgenommen. Am Abend hatte ein Podium mit Vertreterinnen aus dem Süden stattgefunden. Ich war beeindruckt von den anwesendenden rund 800 meist jungen Menschen im Saal. Solche Anlässe geben mir Hoffung.

Dann gibt es in den Grossstädten sog. Anti-WTO-Bewegungen, die weiteren Liberalisierungsbestrebungen den radikalen Kampf angesagt haben. In diesen Gruppierungen haben sich vor allem Gruppen aus der autonomen Szene zusammengeschlossen. Ihr Name ist ihr Programm: gegen die WTO anzukämpfen. Aus dieser Bewegung ist auch ein wichtiges Publikationsorgan der globalisierungskritischen Bewegung entstanden: die Internetseite switzerland.indymedia.org Die Schweizer Indymedia-Seite ist ein Ableger des ursprünglich aus den USA, genauer aus der Anti-WTO-Bewegung von Seattle stammenden Independent Media Centre. Es ist der Versuch einer virtuellen globalen Verknüpfung der verschiedenen Aktivitäten.

Die Erklärung von Bern (EvB) organisiert seit zwei Jahren jeweils gleichzeitig zum Weltwirtschaftsforum, ein Alternativ-Forum, dass sogenannte Public Eye. Am Public Eye werden globale Probleme offen, nicht wie im WEF hinter verschlossenen Türen, diskutiert. Im Public Eye werden Lösungen vor allem auch mit den Betroffenen, mit den Opfern der Globalisierung, gesucht. Im Public Eye wird nicht nur von Partizipation geredet, sondern die Betroffenen partizipieren. (Hinweis auf Broschüren der EvB). Danebst gibst es unzählige kleine, zum Teil regionale Gruppierungen, die einer zerstörerischen Globalisierung den Kampf angesagt haben. Zum Beispiel die sogenannte Gruppe "Kaffee und Kuchen" in Zürich oder die Gruppe "Globalance" in der Haldenpfarrei in St.Gallen. Meist sind es junge Menschen, die sich in solchen Gruppen engagieren. Viele der Gruppen in der Schweiz haben sich im so genannten "Oltner Bündnis" formiert. Unter anderen sind auch die Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung und die Grünen Schweiz Mitglied dieses Bündnisses. In einer Plattform sind die Ziele formuliert. Dieser Plattform gehören über 30 Organisationen und Gruppierung an. Die praktischen Aktionen sind dann je nach Gruppe verschieden. Die Gruppe junger Menschen im Graubünden mit dem Namen DaDavos setzen ihre Aktionsschwerpunkte etwas anders als die Theologische Bewegung oder die Grünen. Allen ist aber eines gemeinsam: Sie fordern eine grundlegend andere Welt und eine breit geführte Diskussion über die Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums, der Arbeit, des Zugangs zu den natürlichen Ressourcen und des Eigentums der Produktions- und Kommunikationsmittel. So heisst denn auch der Titel der Plattform des Oltner Bündnis: «Eine andere Welt ist notwendig». Das Oltner Bündnis hat vor allem dem WEF den Kampf angesagt. Im politischen Inhalt gibt es Gemeinsamkeiten aber auch Spezialitäten. Die Grünen haben zum Beispiel in ihrem Positionspapier ihre Forderungen eingeleitet mit dem Satz: Die Grünen Schweiz wollen dazu beitragen an dieser anderen Welt mitzubauen. Um zu verhindern, dass der herrschenden wirtschaftlichen Logik das ganze Leben unterworfen oder zerstört wird, engagieren sie sich für die folgenden Forderungen:
  • Grundsätzlich:
    • Für direkte Demokratie, Partizipation der Bevölkerung und Respektierung der Menschenrechte in allen Staaten
    • Für eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft
    • Für die Stärkung der Unabhängigkeit und Transparenz der Politik
    • Für eine Alternative zur Wachstumsideologie
    • Für eine nachhaltige Wirtschaft, die sozial- und umweltverträglichen Standards unterworfen wird
  • International:
    • Für eine umfassende Reform der WTO und der Internationalen Finanzorganisationen, gegen eine Teilnahme der Schweiz am Multilateralen Investitionsabkommen MAI
    • Für den Erlass der Schulden für die armen Länder
    • Für die Einführung einer Kapital- und Börsensteuer (Tobin-Tax)
    • Für eine Ende der Strukturanpassungsprogramme unter dem Diktat von IWF und Weltbank
    • Für eine internationale Wasserkonvention, die das Wasser als öffentliches Gut garantiert
  • National:
    • Für eine politische Öffnung, für die Verstärkung der guten Dienste, für ein verstärktes Engagement in Europarat und OSZE und für den Beitritt der Schweiz zur EU und zur UNO – zumindest letzteres haben wir ja immerhin inzwischen erreicht.
    • Für eine Kooperation mit allen Staaten Europas, insbesondere auch jenen in Mittel- und Osteuropa
    • Für die Unabhängigkeit der politischen Behörden gegenüber der Wirtschaft. Insbesondere verlangen die Grünen von den PolitikerInnen die vollständige Offenlegung aller Mandate in Verwaltungsräten und ein Verbot für Verwaltungsratsmandate in grossen Firmen
    • Für eine demokratische und unbehinderte Auseinandersetzung um die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung. Wir fordern den Bundesrat auf, künftig an Treffen wie jenem in Porto Alegre teilzunehmen
    • Für eine Aussenwirtschaftspolitik, welche die wirtschaftliche Zusammenarbeit an die Einhaltung der Menschenrechte und der Demokratie bindet
    • Für eine Erhöhung des Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit
    • Für die Aufhebung des Bankgeheimnisses für Fluchtgelder und Steuerhinterziehung
Wir Grünen – so heisst es weiter im Grundsatzpapier - wollen uns entschieden einsetzen für die Globalisierung von Menschenrechten, von sozialen und ökologischen Anliegen – damit eine andere Welt möglich wird. Dieser Satz fasst zusammen, was mit obigen Massnahmen bezweckt werden soll. Damit dies möglich wird ist es absolut erforderlich, dass auch bei uns demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker gegenüber der Wirtschaft ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht in Loyalitätsstrukturen privater Organisationen, wie zum Beispiel dem WEF einbinden lassen.

Um all diesen Zielen näher zu kommen, ist auch eine internationale Zusammenarbeit nötiger denn je. Der Weltsozialgipfel in Porto Alegre in Braslien, letztes, dieses und auch nächstes Jahr sind solche Möglichkeiten. In Porto Alegre, aber auch vorher schon in Genf, Seattle, Nizza und Prag hat sich ein «globales» Bewusstsein und eine starke Widerstandsbewegung gegen die katastrophalen Auswirkungen der wirtschaftlichen Liberalisierung gezeigt. Ja, die Welt wird nicht gerechter indem man über sie schimpft. Was können wir, müssen wir tun? Welche Handlungsansätze können eine Wende herbeibringen?

Die Antwort auf die wirtschaftliche Globalisierung muss eine soziale und politische Globalisierung sein. Die Universalisierung des Profits ist unvereinbar mit dem Schutz des Gemeinwohls. Die Lebensgrundlagen gehören allen und nicht nur einigen wenigen, sie müssen sozusagen "globalisiert" werden. Es ist bemerkenswert, dass in diesem Sinn die Forderungen der Opposition im Norden wie im Süden übereinstimmen: Erhalt des Service Public, Ablehnung von Privatisierung und Individualisierung, nachhaltige Entwicklung, Erhalt der Biodiversität, Kampf gegen den sozialen Ausschluss usw. sind gemeinsame Anliegen des Widerstands in Nord und Süd.

Das Weltsozialforum war ein erster Versuch, die verschiedenen Widerstandsbewegungen zu "globalisieren". Dieser globalisierte Widerstand steht vor grossen Herausforderungen. Wie bringt man beispielsweise unsere Idee der Dezentralisierung zusammen mit einer Globalisierung der Politik und einer territorialen «Enteignung»? Die Länder des Südens, insbesondere die autochthonen Gemeinschaften in Lateinamerika, haben lange für die Anerkennung ihres Besitzrechts auf den Boden, auf dem sie leben, und auf die natürlichen Ressourcen gekämpft. Wie ist dieser Anspruch zusammenzubringen mit der Vorstellung, dass gewisse Güter zum Allgemeingut der Menschheit gehören?

Eine andere Herausforderung ist die Frage der Besteuerung von Finanztransaktionen (Tobin-Tax). Zur Realisierung dieser Forderung braucht es vermutlich die Bildung internationaler Instanzen, vielleicht ein Weltparlament, das die Modalitäten der Erhebung der Steuer und ihre Verteilung regelt. - Handeln ist aber auch bei uns gefragt. Es gibt verschiedene Beispiele wo Widerstand etwas erreichen kann. Ich erwähne die Aktion der EvB gegen die Ausbeutungsmachenschaften der Firma Triumph in Burma, die ganze Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften und Linksparteien in unserem Kanton gegen die Umwandlung der öffentlichen Spitäler in Aktiengesellschaften. Es braucht den Druck der Öffentlichkeit und eine Sensibilisierung, was hier bei uns abläuft.

Ich komme langsam zum Schluss und fasse zusammen. Es ist wichtig, sich gegen den wachsenden Einfluss der Privatwirtschaft auf die Politik zu wehren. Wir brauchen transparente, demokratisch legitimierte Entscheidungsstrukturen auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Dabei müssen Wirtschaftsinteressen verbindlichen Regeln unterstellt werden.

Dies bedeutet unter anderem:
  • Wirtschaftskonzerne müssen dazu verpflichtet werden, dass ihre Tätigkeiten keine negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen haben.
  • Keine weitere Liberalisierung der Handelspolitik, bevor nicht die Auswirkungen bestehender WTO-Abkommen auf Mensch und Umwelt von einem unabhängigen Gremium umfassend untersucht worden sind. Eine solche Untersuchung sollte speziell auch die Auswirkungen von Handelsliberalisierungen auf Arme, auf Frauen, Kinder und Indigene berücksichtigen.
Das Engagement für soziale Errungenschaften, die Erhaltung der Lebensgrundlagen, Zugang zu Nahrung, Bildung und Gesundheitsversorgung für alle, kurz die Einhaltung und Globalisierung der Menschenrechte, ist nicht illusionär oder rückwärtsgewandt, sondern entspricht einer Verantwortungsethik – einer Ethik des Handelns.

Im Wissen darum, dass weder Sie noch ich, noch unsere Gemeinde oder die Schweiz allein die Welt in eine nachhaltige Zukunft lenken können, plädiere ich für die Globalisierung von Gerechtigkeit. Die eigentlichen Globalisierungsgegner sind jene, welche die heutigen globalen Möglichkeiten nutzen, um ihre Pfründe zu sichern und den eigenen Wohlstand auf Kosten vieler zu mehren.

Schutz der Umwelt, soziale Gerechtigkeit, Partizipation und Gleichberechtigung dürfen nicht nur Schlagworte bleiben.

Niemand kann allein die Welt zum besseren wenden. Aber unseren Beitrag dazu können wir leisten. Unseren Beitrag dazu müssen wir leisten. Oder mit einem Sprichwort aus Burkino Faso gesagt:

"Wenn sich Ameisen einigen, können sie einen Elefanten transportieren."
  
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