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Rede zum 1. Mai 2001 in Zürich

Liebe Mitdemonstrierende

Habt Ihr es schon gewusst? Wir sind hoffnungslos unzeitgemäss. Wir alle, die wir seit Jahrzehnten an einem Ritual festhalten. So zumindest beschreiben verschiedene Medien unseren heutigen Feiertag und diese Kundgebung. Ob ein Fest- und Protesttag unzeitgemäss ist oder nicht, bestimmen aber nicht die Medien. Es sind wir alle, die den Kalendertag mit politischen Inhalten und Forderungen erfüllen. Wo es nur um das Abspulen des immer Gleichen geht, ist es in der Tat nicht mehr weit bis zum Ritual. Doch die Stärke des ersten Mais liegt gerade darin, dass immer neue Themen einfliessen, ohne dass die alten deswegen vom Tisch sind.

Gibt es einen anderen, einen passenderen Tag, um auf die Strasse zu gehen und die Anliegen der ArbeitnehmerInnenschaft öffentlich kund zu tun? Wohl kaum. Es geht aber schon seit Jahrzehnten um viel mehr. Es geht um die Einforderung traditioneller linker Postulate: neben den Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dies Forderungen wie die Einhaltung der Menschenrechte, der Schutz der Umwelt, die Gleichstellung der Geschlechter, die Solidarität zwischen Nord und Süd. Unsere Kundgebung ist ein wichtiges Symbol. Wenn verschiedene Medien die 1. Mai-Kundgebung als unzeitgemässes Ritual in Frage stellen, verkennen sie deren Bedeutung. Heute und hier zeigt sich, wer für unsere uralten und neuen linken Forderungen auf die Strasse geht. Wer zeigt offen sein Gesicht für Demokratie und Gerechtigkeit – hier und weltweit? Es sind wir alle.

Ich soll über die Globalisierung reden, hat man mir gesagt. Doch das Wort «Globalisierung» kann vieles bedeuten. Globalisierung kann heissen, die geografische Entfernung zu vernichten, und alles greifbar zu machen. Ist unser Planet aber damit wirklich zum solidarischen Weltdorf geworden, wie es uns die Wirtschaftshäuptlinge gerne weis machen wollen? Und ist alles Greifbare tatsächlich für ALLE zugänglicher geworden? Bei der Globalisierung – wie sie bisher vorangetrieben wurde - handelt es sich eher um eine ideologische «Mehrzweckwaffe» um den gesellschaftlichen Reichtum von unten nach oben zu verteilen . Die Kluft zwischen dem reichen Nord und Westen und der Verarmung breiter Schichten und ganzer Staaten im Süden und Osten wird täglich grösser.

Was haben wir der Globalisierungseuphorie der Machthabenden zu verdanken? Wohin hat der bisherige Weg der Globalisierung der Finanz- und Warenmärkte geführt? Die Politik hat ihre Stärken der Wirtschaft abgegeben und zieht sich aus all jenen Bereichen zurück, wo es um die Regulierung der Konzerne geht. Eine direkte Folge ist der rasante Verlust an Demokratie. Es ist Bank A und Multi B, die über das wirtschaftliche Weiterkommen ganzer Staaten bestimmen, statt dass die vielzitierte, leider aber äusserst schwache Staatengemeinschaft der Wirtschaft moralische Leitplanken vorgibt. Kommt dazu, dass die theoretisch von der Politik gesteuerten internationalen Finanzinstitute IWF und Weltbank den Ländern des Südens unerfüllbare Auflagen machen. Diese eisernen Vorgaben zur Strukturanpassung führen oft zur Verarmung breiter Schichten. Das Reichtumsgefälle innerhalb und zwischen den Staaten wird immer grösser. Unqualifizierte Tätigkeiten werden in Billiglohnländer verlegt. Rentable Teile mit Wertschöpfung verbleiben hingegen immer im reichen Norden. Dieses wachsende Reichtumsgefälle ist eine direkte Folge der neoliberalen Politik, trotz des Geschwätzes vom so genannten globalen Dorf. Die Verliererinnen und Verlierer dieses weltweiten Ausbeutungs- und Profitwahnsinns sind einmal mehr die Ärmsten und Schwächsten. Vor allem Frauen kommen einmal mehr unter die Räder des Globalisierungszugs.

Um die Folgen globalisierter Ausbeutung zu kontrollieren, setzt der reiche Norden und Westen immer mehr auf ein Konzept der militarisierten Konfliktbewältigung. Die Nato nimmt ihren neuen Auftrag der "Wahrung ihrer Interessen" bald rund um die Welt wahr; Europa baut sogenannte "Krisenreaktionskräfte" auf, um seine Eigeninteressen zu schützen. Die Schweizer Armee will mit einer Revision des Militärgesetzes Teil dieses repressiven Konfliktmanagements werden. Europa, USA und Japan rüsten zum globalen Verteidigungskrieg für ihre Profitinteressen und Ausbeutungsstrukturen. Neoliberalismus und Neomilitarismus sind Waffenbrüder der Ausbeutung. Die Ideologie des "humanitären Kriegs", der Militärintervention zum Schutz von Menschenrechten, hat aber auch in Teilen der Linken und Friedensbewegten eingeschlagen und verfangen. Gefordert ist heute eine kritische Auseinandersetzung mit der neuen Rolle der Armeen und der neuen Ideologie des Militarismus weltweit.

Der Globalisierungszwang verlangt nach Liberalisierung und Abbau von sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen auch bei uns. Nur so können wenige auch in Zukunft ihren Reichtum sichern und vermehren. – Rationalisierungen, Arbeitsplatzabbau und Tiefstlöhne werden mit dem Totschlägerargument der unternehmerischen Freiheit als einzige Möglichkeit des wirtschaftlichen Überlebens angepriesen. Für die Lohnabhängigen wird Freiheit aber ganz anders definiert. Für die Lohnabhängigen wird die angepriesene Flexibilisierung oft zu einem «Allzeit Bereit». Lassen wir uns von diesen Scheinvorteilen nicht täuschen und wehren wir uns gegen eine unternehmerische Freiheit, die auf Kosten der Angestellten geht und den Service Public sabotiert,

Es gibt aber Freiheiten, denen wir äusserste Sorge tragen müssen und für die wir notfalls auch kämpfen müssen. Es sind dies die Meinungs- und Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit. Genau diese Freiheiten wurden in unserem Land kürzlich mit Füssen getreten. Ich rede von der Inszenierung der Bündner Regierung, der Davoser Polizei und deren Gehilfen anfangs Jahr.

In Davos und an anderen internationalen Treffen der Finanz-Eliten ging es um die Sicherung der eigenen Pfründe. Barrikaden, Stacheldraht, Abschrankungen in Seattle, Washington, Prag, Davos und Quebec haben in den letzten Monaten und Jahren Symbolwert bekommen. Markenzeichen der Globalisierungsmächtigen ist das Verhandeln und Diskutieren hinter verschlossenen Türen. Strategien werden entwickelt, um die nächste Liberalisierungsrunde einzuläuten. Die offizielle Schweiz hat sich den Schutz der Weltmächtigen in Davos 15 Millionen kosten lassen. Wenn es die Schweiz fertig bringt, 15 Millionen für eine fragliche Zusammenkunft in Davos hinzublättern, soll sie auch wenigstens 5 Millionen locker machen, damit in zwei Jahren in Genf ein internationales Treffen der Nicht-Regierungsorganisationen wie in diesem Jahr in Porto Alegre möglich wird.

Begründet wird die von den Mächtigen hochgejubelte Liberalisierungs- und Globalisierungspolitik mit mehr Handlungsfreiheit, denn im Zeichen der Globalisierung der Märkte werde die internationale Konkurrenz immer härter. Die Folgen sind meist Arbeitsplatzabbau und Abbau von Dienstleistungen: sei es bei Privaten, bei grossen und mittleren Unternehmen oder auch bei Bahn, Post und so weiter. Das wollen wir so nicht einfach hinnehmen.

Das alles sind traurige Tatsachen und dĂĽstere Aussichten! Was muss geschehen? Den Verantwortlichen Global Players, die auf Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung setzen, mĂĽssen wir klarmachen, dass es so nicht weitergehen darf. Das Primat der Politik und der Menschenrechte muss an die Stelle der Habgier der Besitzenden treten.

Globale Entscheidungsstrukturen dürfen nicht von informellen und intransparenten Verfahren und Gremien bestimmt werden. Sie brauchen dringend eine demokratische Kontrolle, welche die Mitbestimmung aller Betroffenen garantiert. Auch akzeptieren wir nicht einfach die Sachzwangpolitik der Globalisierer. Denn die neoliberale Globalisierungsdoktrin hat versagt, statt Probleme zu lösen hat sie neue geschaffen. Globalisierungsfreaks, die sich gegen soziale und ökologische Rahmenbedingungen sträuben, sind Totengräber demokratischer Errungenschaften.

Wir sind heute hier, um gegen die ausbeuterische Wirtschaftspolitik ein öffentliches Zeichen zu setzen. Auf die bedrohlichen Folgen der modernen Weltwirtschaft können wir nicht genügend hinweisen. Wir nehmen das ausbeuterische Gebaren nicht länger hin und wollen uns vielmehr weltweit vernetzen und so die Ohnmacht überwinden. Es liegt an allen «gewöhnlich Sterblichen», sich global zu organisieren und die Ohnmacht abzulegen. Dann können wir uns dem weltweiten Widerstand anschliessen, in die Debatten eingreifen und schliesslich neue Wege beschreiten. Es gibt sie: die Globalisierung von unten. Die Globalisierung wird zu einem demokratischen Fundament kommen, wenn wir uns an der Entwicklung einer weltweiten Zivilgesellschaft beteiligen. Globalisierung darf nicht länger die Herrschaft der Stärksten über die Schwächsten sein.

Wir lassen uns nicht damit abspeisen, es gebe halt keine Alternativen. Wenn wir das Ziel klar vor Augen haben, gibt es sehr wohl Alternativen. Ich erinnere an den Kampf gegen das Apardheitregime im früheren Südafrika. Südafrika ist ein ermutigendes Beispiel gegen die scheinbare Alternativelosigkeit. Wir müssen uns bewusst sein, dass es sich bei all den Problemen, nicht um Sachfragen, sondern um Machtfragen handelt. Was wir in Südafrika Anfang der Neunzigerjahre erlebten, könnte ein hoffnungsvoller Ansatz sein auch für andere Konfliktherde. In Nahost haben wir eine sehr ähnliche Situation. Zum einen das hoch entwickelte Israel, wie es die Städte des weissen Südafrikas waren, andererseits die Homelands, die im Nahen Osten Westbank und Gazastreifen heissen. Die Bewegung um Nelson Mandela hat gezeigt, dass sich eine solche scheinbar auswegslose Situation friedlich und mit guter Perspektive für die Zukunft lösen lässt.

Es reicht auch nicht aus, dass Bundespräsident Leuenberger dazu auffordert, Verantwortung für die Durchsetzung der Menschenrechte zu übernehmen. Den schönen Worten müssen Taten folgen. Der Bundesrat hat auch dafür zu sorgen, dass die Schweiz mit ihrer Wirtschaftspolitik nicht zur Mittäterin von Menschenrechtsverletzungen wird. Und bei dieser Aufgabe fordere ich den Bundesrat auf, auch Hand zu bieten, die Rahmenbedingungen entsprechend zu setzen. Es geht nicht an, dass der Bundesrat Staudammprojekte in der Türkei, in China und anderswo verteidigt, wenn durch die Monumente Hunderttausende von Menschen zwangsweise umgesiedelt werden müssen. Die offizielle Schweiz muss vielmehr Staudammprojekte bekämpfen, wenn sie die Lebensgrundlagen der betroffenen Bevölkerung zerstören. Die offizielle Schweiz muss auch Menschenrechtsverletzungen benennen und verurteilen. Sei es die Unterdrückung des kurdischen, tibetischen, palästinensischen oder sudanesischen Volkes. Die Schweiz muss sich klarer gegen Ausbeutung und Entmachtung von demokratisch gewählten Regierungen aussprechen. Es reicht nicht, dass sich die Schweiz mit Stolz für die Entwicklung der am wenigsten entwickelten Länder einsetzt. Es müssen auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Zugang der armen Länder zu den Märkten der Industrienationen ermöglichen. Es braucht ein Ende des ausbeuterischen Tuns ALLER westlichen Industriestaaten.

Und wie wehren WIR uns? Wir haben das Ziel vor Augen, für das es sich lohnt zu kämpfen:
  1. Eine humane Wirtschaft statt des neoliberalen Dogmas.
  2. Den sozialen und ökologischen Kurswechsel für unseren Planeten.
Was wir brauchen, ist eine Diskussion über die verschiedenen Formen von Gewalt. Die Gewalt, die durch die Globalisierungseuphoriker ausgelöst wird, muss beim Namen genannt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Oberen in Wirtschaft und in Politik ihr Handeln auch ausbaden und ihre vielzitierte Verantwortung übernehmen – statt wie üblich weiterzufahren wie bisher. Wie viel subtile Gewaltanwendung leisten sich Wirtschaftkonzerne weltweit? Wie viele Menschenrechtsverletzung nehmen sie in Kauf, um letztlich zu ihrem Profit zu gelangen? Worin besteht die ökologische Schuld des Nordens gegenüber dem Süden? Welche Preispolitik betreiben die Pharmakonzerne mit ihren Medikamenten, zum Beispiel gegen Aids? Inwiefern tragen die Gipfeltreffen der Mächtigen, sei es der G-7-Gipfel, die Konferenzen der Bretten Woods Institutionen oder das Weltwirtschaftsforum Davos zur Unterdrückung und zur Verarmung grosser Bevölkerungsteile bei? Und welche Schuld laden sich die internationalen Finanzinstitute IWF und Weltbank mit ihrer Finanzpolitik auf?

Die Probleme der schrankenlosen Globalisierung sind bekannt. Um diesen wirksam entgegen zu treten, brauchen wir eine grosse Koalition des gewaltfreien Widerstands. Gruppierungen, Gewerkschaften und Parteien müssen sich vernetzen. Neue Gruppen können entstehen und sich dem neuen Netzwerk anschliessen. Das Netzwerk soll erst national, dann aber auch global immer grösser werden. Dann erreichen wir viel. Davon bin ich überzeugt. Der 1. Mai kann dieses Jahr ein weiterer Schritt sein, um die Diskussion und den Dialog über den radikalen Widerstand gegen die lebenszerstörenden Strukturen zu stärken und diesen erfolgreich zu verwirklichen.

Widerstand ist zugleich Ausdruck und Markenzeichen unserer Wachsamkeit. Es gibt auch eine Pflicht zum Widerstand. Unser Widerstand ist nicht einfach eine Kriegserklärung mit Siegesabsichten. Unser Widerstand macht vielmehr Vorschläge, die eine solidarische und demokratische Gemeinschaft zum Ziel haben.

Wir dürfen nicht bis zum nächsten Weltwirtschaftforum warten. Es gibt auch hier, im aktuellen Tagesgeschehen, viel zu tun.
  1. Den Kampf gegen die Diktatur des freien Markts
  2. Den Kampf gegen die Demontage der AHV
  3. Den Kampf gegen das Lohngefälle von Mann und Frau
  4. Den Kampf gegen die unverschämten Löhne von Spitzenmanagern
  5. Den Kampf gegen die unverschämten so genannten Abgangsentschädigungen in Millionenhöhe – Stichwort "Honegger"
  6. Den Kampf gegen die Privatisierungsbestrebungen
  7. Den Kampf gegen die Logik der Finanzhaie, es gebe ein Recht, Menschen materiell auszubeuten und als Superreiche – rund 300 Superreiche in der Schweiz – weit mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens zu besitzen.
  8. Den Kampf gegen den Abbau des Service Public
  9. Den Kampf gegen die Umweltzerstörung
  10. Den Kampf gegen den zunehmenden Militarismus
  11. Den Kampf gegen die Wohnungsnot in Zürich und anderen Städten
  12. Den Kampf gegen den Fluglärm und anderen Verkehrslärm
  13. Den Kampf gegen die Ausgrenzung von Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe und anderer Religionen
Die Aufzählung könnte endlos weiter gefĂĽhrt werden. Ich komme hier zum Schluss: Wir sind diejenigen, die den Weg des Fortschritts wählen. Der Weg des Fortschritts heisst aber nicht Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung auf Teufel komm raus. Fortschritt heisst soziale Gerechtigkeit und Solidarität. Die EinfĂĽhrung einer Tobinsteuer ist nur ein erster kleiner Schritt zu einer gerechteren Welt. Solidarität heisst nicht einfach schenken. Solidarität heisst auch Teilen von Macht, Kapital und Arbeit.  
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1. Mai 2001