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«Wir brauchen ethische Richtlinien für Unternehmen»
erschienen in «Tibet aktuell», August 2003

Nationalrätin Pia Hollenstein (Grüne, St. Gallen) ist seit 1991 im Nationalrat und seit dieser Zeit aktives Mitglied der Parlamentarischen Gruppe für Tibet. Sie engagiert sich für Umwelt- und Verkehrspolitik, Menschenrechte sowie ethische Fragen im Allgemeinen. Sie ist bereits an verschiedenen Anlässen zugunsten Tibets aufgetreten und hat sich besonders für die tibetischen Frauen engagiert. Infolge ihres Einsatzes für die Tibeterinnen und Tibeter unterstützen wir die erneute Kandidatur von Frau Hollenstein für den Nationalrat. Die Politikerin unterstützt unsere Wirtschaftskampagne und fordert ethische Richtlinien für Unternehmen. Mit Pia Hollenstein sprach Daniel Aufschläger.

Sie sind in verschiedenen christlichen Organisationen aktiv. Was haben Sie für ein Verhältnis zum Buddhismus, mit dem Sie über Ihr Tibet-Engagement in Kontakt gekommen sind?
Der Buddhismus als eine der Weltreligionen hat uns viel zu sagen. Was mich besonders beeindruckt ist die Gewaltfreiheit des Buddhismus und die Überzeugung, mit der die Tibeterinnen und Tibeter insgesamt diesen Grundsatz befolgen. Ferner fällt mir die Rücksicht und der Respekt vor der Mit- und Umwelt auf, welche den Buddhismus charakterisiert.

Woher stammt Ihr Interesse für Tibet?
Ich war vor einiger Zeit drei Jahre lang in Papua-Neuguinea in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Diese Erfahrung hat mich sehr für Menschenrechtsfragen sensibilisiert. Als ich in den Nationalrat gewählt wurde, bot sich die Parlamentariergruppe für Tibet, eine der ganz wenigen länderbezogenen Parlamentariergruppen, für eine Mitarbeit an. Zudem kannte ich die tibetische Kultur von früher, da in meiner Heimat im Toggenburg auch Tibeterinnen und Tibeter leben. Daher war mir aus erster Hand bekannt, dass das tibetische Volk im eigenen Land verfolgt wird.

Sie haben Tibet vor zwei Jahren bereist. Wie haben Sie das Himalaya-Land wahrgenommen?
Als Natur- und Bergliebhaberin war ich beeindruckt von Land und Leuten. Die einfache Lebensweise vieler Tibeterinnen und Tibeter ohne Luxus, dafür nahe am Leben und der Natur hat mich berührt. Ihre Lebensweise ist nicht vergleichbar mit unserem Lebensstil.

Ein dunkles Kapitel ist die chinesische Unterdrückung, die auch auf dem Land spürbar ist. Nomaden sollen sesshaft gemacht werden, indem Drahtzäune Wandergebiete abtrennen. Wir sind an zahlreichen Kontrollposten vorbeigekommen, an denen jeweils die Personal- und Reisedokumente geprüft wurden. Es ist demütigend für die Tibeterinnen und Tibeter, sich auf ihrem eigenen Boden rechtfertigen und sich Kontrollen unterziehen zu müssen. Den Potala, das Symbol für die tibetische Kultur par Excellence, dürfen die Tibeter nur getrennt von den Ausländern zu besuchen.

Wie haben Sie die chinesische Präsenz in Tibet erlebt?
Die Chinesen sind überall zu sehen, da sie sich auch in kleinen Ortschaften niederlassen und dort ein Geschäft aufbauen. Ebenso verbreitet ist das Militär, das die physische Übermacht Chinas darstellt. Es ist unlogisch, dass in einem friedlichen Land eine solch bedrohlich wirkende Militärpräsenz herrscht.

Wie beurteilen Sie die Überlebensfähigkeit der tibetischen Kultur und damit der Identität der Tibeter unter den heutigen Bedingungen in Tibet?
Das ist eine schwierige Frage, die ich nicht abschliessend beantworten kann. Zwar fördern die chinesischen Behörden das «Tibetische», indem Klöster restauriert und tibetische Folkloregruppen unterstützt werden. Doch geschieht dies vor allem im Blick auf die Tourismusförderung und für propagandistische Zwecke. Ob die tibetischen Folkloregruppen am Festanlass «50 Jahre Befreiung Tibets» freudig mitwirkten, wage ich zu bezweifeln. Es ist keine Frage, dass die proklamierte Autonomie Makulatur ist. Selbst die persönlichen Freiheiten sind eingeschränkt. Die Ignoranz der fremden Herren geht so weit, dass keines der Strassenschilder, das wir zwischen Lhasa und dem Berg Kailash angetroffen haben, tibetisch angeschrieben war.

Macht es überhaupt Sinn, nach Tibet zu reisen, wenn die Chinesen unseren Besuch als Zustimmung zu den Verhältnissen interpretieren könnten?
Man kann besser Öffentlichkeit schaffen für ein Volk, das man in seiner Heimat kennengelernt hat. Aber auch für die Menschen in Tibet ist die Begegnung mit Ausländerinnen und Ausländern wichtig, denn dadurch erfahren sie, dass wir sie nicht vergessen haben. Ich habe in Tibet Energie aufgetankt, um mein Engagement aufzufrischen.

Wie beurteilen Sie Chinas Politik in Tibet?
Es ist eine Politik der Unterdrückung und Fremdbestimmung. Die beschönigende Darstellung der Tibetpolitik hält dem Augenschein vor Ort nicht stand. Beispielsweise gibt es im Vergleich mit der Zeit vor dem Einmarsch trotz Wiederaufbau nur noch wenige Klöster, und vor allem lebt in diesen Klöstern nur ein Bruchteil der früheren Mönchsgemeinschaft. Die Eisenbahn von Lhasa nach China, für die während meiner Reise bereits kräftig Werbung gemacht wurde, wird von den Tibetern nicht als positives Projekt angesehen. Sie befürchten viel mehr, dass die Eisenbahn zu einer Masseneinwanderung von Chinesen führen wird.

Der Schlüssel für Vieles in Tibet liegt in China. Hat unsere Regierung Möglichkeiten auf China einzuwirken? Wie bewerten Sie den sogenannten Menschenrechtsdialog, den die offizielle Schweiz mit China pflegt?
Die Menschenrechtsabteilung im Departement des Äusseren (EDA) gibt sich sehr Mühe, die Menschenrechtsfrage im Umgang mit China wirksam zu vertreten und auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China und Tibet hinzuwirken. Allerdings hat der Menschenrechtsdialog bisher keine sichtbaren Erfolge gebracht. Trotzdem darf die Schweizer Diplomatie nicht aufhören, China den Spiegel vorzuhalten und mit Nachdruck darauf hinzuweisen, was in China falsch läuft. Das Engagement des EDA mit der die Menschenrechte in Peking angemahnt werden, ist recht begrenzt, da die Wirtschaftsinteressen für die Schweizer Regierung, besonders für das Volkswirtschaftsdepartement, sehr bedeutend sind.

Wenn Bundesräte in China weilen, fallen sie nicht gerade als mutige Verfechter der Menschenrechte auf.
Das stimmt. Man merkt auf offiziellen Bundesratsreisen nach China kaum mehr etwas vom Engagement des EDAs . Der Bundesrat nimmt Rücksicht auf die Wirtschaftsinteressen, damit Geschäftsaufträge nicht verloren werden.

Wir Konsumenten kaufen immer mehr Waren aus China. Wäre ein Boykott allenfalls eine Massnahme, mit der wir die Aufmerksamkeit Chinas erringen könnten?
Ich bin skeptisch bezüglich der Wirksamkeit eines Boykotts. Die chinesische Wirtschaft ist riesengross, und der Boykott eines Teils der Bevölkerung würde kaum wahrgenommen, geschweige denn Chinas Wirtschaft schädigen. Persönlich meide ich mit meinem Konsumverhalten Produkte aus China sowieso, da ich in erster Linie aus ökologischen Gründen Produkte vorziehe, die keine weiten Transportwege haben.

Eine bedeutende Rolle bei der chinesischen Wirtschaftsentwicklung spielen auch Schweizer Firmen, die entweder Waren aus China beziehen – denken wir an die unseligen Geflügelimporte der Migros – oder die in China Produktionsstätten unterhalten. Das beginnt bei der Basler Pharmaindustrie geht über die Grossbanken und Versicherungen bis zur Maschinenindustrie. Kann man den Hebel bei diesen Firmen ansetzen, um Verbesserungen der Menschenrechtslage in China und Tibet zu erreichen?
Das wäre eine erfolgversprechende Alternative zu einem Boykott. Ich setze mich seit Jahren dafür ein, dass der Bundesrat ethische Richtlinien für das Verhalten von Unternehmen erlässt. Das ist nicht realitätsfern, gibt es doch beispielsweise den Verhaltenskodex Global Compact der UNO, der allerdings keinen verpflichtenden Charakter hat. Die Wirtschaftsvertreter haben sich in der Schweiz bisher erfolgreich gegen verpflichtende Kriterien gewehrt.

Wäre das auch eine Handlungsmöglichkeit für eine Organisation wie die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft?
Der Erfolg ist zwar nicht absehbar, und es ist eine aufwendige Arbeit. Dennoch würde ich eine entsprechende Kampagne trotzdem befürworten. Die Unternehmen direkt anzusprechen und einen Dialog aufzunehmen, kann zu einer Beeinflussung der Politik des jeweiligen Unternehmens führen. Auch wenn man nur Denkanstösse gegeben hat, kann dies langfristig eine Wirkung haben, denn vielen Managern ist die Menschenrechtssituation sowie die soziale Lage in China und Tibet kaum bekannt. Es gilt die Gelegenheit zu ergreifen, die Leute aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln.

Oder wie steht es mit einer Kampagne gegen die Olympiade 2008 in China? Würden wir damit hierzulande, in der Welt und in China auf Resonanz stossen?
Für mich ist die Olympiade in China zunächst eine gute Chance, die Menschenrechtssituation in China aufzuzeigen. China wird im Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit stehen wie nie zuvor. Ich gehe davon aus, dass wir deshalb Fortschritte im Bereich der Menschenrechte sehen werden. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass China es schafft, nur seine Schokoladeseiten zu zeigen, kosmetische Anpassungen vorzunehmen und keine für alle spürbaren Verbesserungen zu schaffen.

Für China hat es eine Entspannung in der Tibet-Frage gegeben, seit vor bald einem Jahr offizielle Gespräche mit Vertretern der tibetischen Exilregierung stattfinden. Der Druck auf China ist weg. Haben diese Gespräche aber auch den Tibetern etwas gebracht?
Der Dialog zwischen Vertretern der tibetischen Exilregierung und chinesischen Politikern ist zwar zäh und zeigt bisher kaum Ergebnisse. Dennoch würde ich deswegen nicht auf den Dialog verzichten. Miteinander reden ist immer besser als zu schweigen. Doch sollte man nun Taten sehen, vor allem von der chinesischen Seite. Die Repression in Tibet muss aufhören. Die chinesische Seite sollte zeigen, dass es ihr ernst ist, und es nicht um eine Vertuschung ihrer Absichten und um eine Verzögerung geht.

Was kann die Parlamentariergruppe, was können wir als Supporter und Bürgerinnen und Bürger der Schweiz tun?
Wir können Öffentlichkeit schaffen für das Tibetproblem, das Selbstbestimmungsrecht für Tibet fordern und gegen die Gleichgültigkeit von chinesischen Menschenrechtsverletzungen kämpfen. Vereine und Einzelpersonen können sich an Demonstrationen, Anlässen, Unterschriftsaktionen und so weiter beteiligen. Sie können auch Leute in die Parlamente wählen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Wir im Parlament können die Thematik immer wieder mit Anfragen zu aktuellen Ereignissen in Erinnerung rufen.

Welche Themen stehen für Sie auf der Agenda, wenn Sie für eine weitere Legislaturperiode gewählt werden?
Allgemein setze ich mich dafür ein, dass wir unser Handeln vermehrt auf seine weltweiten Auswirkungen überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Zukünftige Generationen sollen weltweit eine lebenswerte Grundlage haben und ihre Konflikte gewaltfrei lösen. Dabei können wir durchaus vom Buddhismus lernen. Ganz konkret steht für mich die Volk- -Initiative für eine gentechfreie Landwirtschaft im Vordergrund. Ferner wollen wir den Bau eines zweiten Gotthardstrassentunnel verhindern, weil er mehr Probleme schaffen würde, als er zu lösen vorgibt. . Bezüglich der Klimaentwicklung wollen wir, dass wir die bereits umsetzbaren Massnahmen verwirklichen – z. B. zur Reduktion des Treibhausgases CO2.

Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Wiederwahl.  
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