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Diese G-8-Herren schwächen die Uno
Samstagsinterview Der Bund, 31.5.2003

Wenn sich am Wochenende Staats- und Regierungschefs versammeln, stehen in der Schweiz weniger Inhalte des G-8-Gipfels, sondern Ausmass und Art der Protests im Vordergrund. Die grüne Nationalrätin Pia Hollenstein, eine scharfe Kritikerin der «ausbeuterischen Globalisierung», sieht im Treffen in Evian die Absicht, die «Interessen der Reichen zu sichern». Sie hält Proteste für notwendig, distanziert sich aber von Gewalt.

Frau Hollenstein, fahren Sie zum G-8-Protest nach Genf?
Leider geht das nicht: Wir feiern am Sonntag ein Familienfest. Es ist sehr wichtig, gegen die ausbeuterische Globalisierung zu demonstrieren, aber es ist nicht alles im Leben.

Warum wird eigentlich demonstriert, wenn die Staats- und Regierungschefs acht mächtiger Nationen zusammentreffen?
Gegen die Art der Globalisierung, wie sie in den letzten Jahren stattgefunden und die Situation auf der Welt verschlimmert hat, muss ein Zeichen gesetzt werden. Mit dieser Globalisierung werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer.

Das ist ein Schlagwort. Man könnte auch das Gegenteil behaupten: Ohne Globalisierung, ohne die Möglichkeit für Handel, wäre die arme Welt noch ärmer.
Es geht nicht darum, gegen jede Art von Globalisierung zu protestieren, Globalisierung findet sowieso statt. Es geht darum, gegen den Marktfundamentalismus zu protestieren, der die Eigeninteressen des Nordens zu Bedingungen sichert, unter denen die Armen keine Chance haben.

Schon wieder ein Schlagwort, «Markfundamentalismus». Wird der Handel durch den Markt nicht besser organisiert als durch staatliche Vorschriften?
Nein, ich lehne die Verherrlichung eines Marktes, dem keine sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen gestellt werden, ab. Ich lehne Bedingungen ab, unter denen die sowieso schon Schwächeren weiter verlieren und der reiche Norden profitiert.

Etwas konkreter. Gibt es ein gutes Beispiel für Handel?
Zum Beispiel der Wissenstransfer, der auch zum Handel gehört. Wenn der ärmere Süden nicht daran teilnehmen könnte, wäre er noch weiter benachteiligt.

Und ein negatives Beispiel?
Wenn ich etwas kritisiere, geht es immer um ausbeuterisches Verhalten. Das geschieht zum Beispiel, wenn Novartis oder Monsanto Gene, die dem Süden gehören, patentieren, hierzulande nutzen und daraus für die Bauern im Süden eine Abhängigkeit entsteht.

Das Urteil über Gentechnologie ist doch noch lange nicht gesprochen.
So wie es sich bis heute abgespielt hat, hat der Süden immer Zweiter gemacht. Oder nehmen Sie das Beispiel Pharma: Der Norden versucht, seine Medikamente dem Süden teuer zu verkaufen.

Produkte, die in milliardenschwerer Forschung entstanden sind, müssen doch ihren Preis haben.
Es geht um eine ethische Verantwortung des Nordens, dass der Süden nicht weiter verarmt.

Ist die Armut des Südens im Norden gemacht?
Nicht nur, aber wir sind mitschuldig. Auch innerhalb des Nordens sind die Unterschiede in den letzten Jahren grösser geworden, auch im Norden hat die Marktgläubigkeit versagt.

Das System, das absolut nicht an den Markt glaubte, ging vor bald 15 Jahren wirtschaftlich Bankrott.
Es geht um die Frage, welchen Markt wir wollen. Unter dem gegenwärtigen Marktfundamentalismus ist das Primat der Politik verloren gegangen. Es braucht andere Rahmenbedingungen.

Ist es nicht gerade ein Zeichen für das Primat der Politik, wenn sich die acht mächtigsten politischen Führer der Welt treffen?
Die kommen nicht zusammen, um Probleme im Sinne der Bevölkerung zu lösen. Was aus G-8-Treffen entsteht und klar Wirtschaftsinteressen dient, lehnen die Grünen ab. Die Probleme, die der Gipfel behandelt, müssten in der Uno gelöst werden. Statt dessen schwächen diese G-8-Herren die Uno.

Tun sie das wirklich?
Es glaubt doch niemand daran, dass die G-8-Männer daran interessiert sind, das Wirtschaftsgefälle zu vermindern.

Sie nehmen a priori an, dass diese Staats- und Regierungschefs von schlechten Absichten beseelt sind.
Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt klar, dass es um die Sicherung der Interessen der Reichsten geht. Der Süden ist durch Deregulierung ärmer geworden.

Ist der Süden nicht auch wegen korrupter Eliten, Mangel an Menschenrechten und Demokratie ärmer geworden?
Für einen Teil ist der Süden selber verantwortlich. Das Hauptproblem bleibt aber, dass der Süden in Entscheidungen des Nordens nicht einbezogen wird. Es kann nicht sein, dass es nur weil die Uno ihre Schwächen hat parallel dazu Gremien gibt, die gegen die Zielsetzungen der Uno arbeiten.

Sie sehen die Entwicklung in der Dritten Welt nur negativ. Asiatische Länder haben aber dank Handel riesige Fortschritte gemacht.
Nicht alles, was in den letzten Jahren passiert ist, ist schlecht. Aber so kann es nicht weitergehen: 12 Prozent der Weltbevölkerung verfügen über 86 Prozent des Reichtums. Und das nimmt noch zu. Deshalb bin ich froh, dass viele Leute auf die Strasse gehen.

Was bewirkt denn Protest?
Dank den Protesten ist das Bewusstsein grösser und breiter geworden. Ein Teil der Verantwortlichen hat auch gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Grossfirmen haben erklärt auch wenn das nur ein Feigenblatt war sie setzten sich ein im Kampf gegen Aids, für mehr Gesundheit. Viele Konzerne haben auch realisiert, dass sie sich mit Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit und Gewerkschaftsverboten zurückhalten müssen.

Multinationale Firmen sind in den meisten Entwicklungsländern gesuchte Arbeitgeber exakt, weil sie bessere Arbeitsbedingungen offerieren als einheimische Unternehmer.
Das stimmt nur zum Teil. Es geht nicht an, dass Firmen in den Süden ziehen, weil ihnen in der Dritten Welt weniger strenge Massstäbe, zum Beispiel bezüglich Ökologie, auferlegt werden. Wir wollen, dass sich die Konzerne verpflichten, über die sozialen und ökologischen Auswirkungen Rechenschaft abzulegen. Es geht um die Globalisierung der Gerechtigkeit und der Menschenrechte.

Globalisierungsgegner sind hierzulande einer breiten Bevölkerung nicht sehr sympathisch es gelingt ihnen nicht, sich von randalierenden Chaoten abzugrenzen.
Wenn 100 000 Leute demonstrieren und 200 Krawall machen, kann man doch nicht sagen, das sei eine gewalttätige Demo. Die Schweizer Grünen haben immer erklärt, dass für uns nur eine gewaltfreie Demo in Frage kommt. Das ist für mich als Pazifistin klar. Es gibt halt immer Querulanten, die Krawall suchen und sich mit der Polizei messen wollen. Andere machen Bungee-Jumping, diese Leute sehen da ihre Herausforderung.

War es richtig, dass es jetzt vor dem G-8-Gipfel relativ scharfe Grenzkontrollen gegeben hat?
Staatliche Kontrollmassnahmen sind immer eine Gratwanderung: Man muss die Einschränkung der Bewegungsfreiheit gegen die Meinungsfreiheit abwägen. Mit scharfen Kontrollen läuft man Gefahr, Unschuldige zu bestrafen. Das finde ich schlecht. Ich hätte eine liberalere Lösung vorgezogen.

Müssten die friedlichen Demonstranten nicht bessere Strategien entwickeln, um sich von gewaltbereiten abzugrenzen?
Daran arbeiten wir. Die Grünen unternehmen alles, um Chaoten, von welcher Seite auch immer, nicht freie Hand zu lassen. Wir waren vor dem WEF Mitglied im Oltener Bündnis, weil uns daran gelegen war, möglichst viele Gruppen einzubinden mit dem klaren Ziel einer friedlichen Demonstration. Auf der andern Seite müssen die Behörden alles unternehmen, um nicht zu provozieren. Gewaltbereitschaft ist auch Ausdruck einer dialogunfähigen Gesellschaft.

An allem ist die Gesellschaft schuld.
Ich glaube nicht, dass es nur um zwei, drei Männer geht, die furchtbar schlimme Intentionen haben. Es ist ein Teil der Gesellschaft, mit dem wir ins Gespräch kommen müssen. Das hat man in Davos und jetzt in Genf versucht.

Kann man mit gewaltbereiten Vermummten einen Dialog führen?
Ich glaube daran, dass man Lösungen finden kann, um an Demonstrationen möglichst wenig Gewalt zu haben. Ich wehre mich auch gegen Unterschiebungen die ich aus Ihren Fragen heraushöre alle in einen Topf zu werfen.

Was löst es bei Ihnen aus, wenn Sie sehen, wie in Genf aus Angst vor Randalierern ganze Ladenstrassen verbarrikadiert wurden?
Nachdem in Genf so viel Polizei und Militär aufgefahren ist, verstehe ich diese Ladenbesitzer. Die Behörden haben offenbar Angst geschürt, so dass die Ladenbesitzer jetzt das Gefühl haben, es kämen Randalierer der schlimmsten Art.

Randalierende Chaoten haben in Bern für eine halbe Million Schäden angerichtet.
Das war eine spontane, unbewilligte Demonstration. Man muss zugeben: Heute gibt es Leute, die um des Krawalls willen Krawall machen. Und ein anderer kleiner Teil meint, nur mit Gewaltanwendung werde man wahrgenommen. Davon distanziere ich mich. Wenn ich jetzt aber Gewalt erkläre, heisst das noch lange nicht, dass ich sie rechtfertige. Das ist mir ganz wichtig.

Wie aber soll man mit gewalttätigen Leuten umgehen?
Es braucht eine Deeskalationsstrategie, um sie nicht noch mehr zu provozieren. Darüber streiten sich die Gelehrten. Man muss eine zerschlagene Fensterscheibe aber auch in Relation zu den 25 000 Kindern sehen, die unter diesem System der strukturellen Gewalt und Ausbeutung täglich an Hunger sterben. Das rechtfertigt die kaputte Fensterscheibe nicht, führt aber dazu, sich nicht nur mit der Fensterscheibe zu befassen.

Ist es der Fehler der ersten Welt, wenn Kinder in der Dritten Welt sterben?
Die westliche Welt trägt eine grosse Mitschuld, wir haben eine grosse Mitverantwortung.

Der Globalisierungsbefürworter sagt: Es sterben Kinder in der Dritten Welt, weil es dort keine Demokratie gibt, keine Menschenrechte, korrupte Eliten. Diese Regimes bringen es nicht fertig, Grundlagen für den Fortschritt zu schaffen.
Tatsächlich sind Regierungen im Süden nicht einfach gut und jene im Norden schlecht, auch im Süden gibt es massive Ungerechtigkeiten. Es geht aber darum, unseren Beitrag zu leisten, damit die Ausbeutung des Südens durch den Norden nicht weitergeht.

Sie sind seit 1991 grüne Nationalrätin. Haben Sie den Marsch der Schweizer Grünen nach links in diesen Jahren mitvollzogen?
Die St. Galler Grünen waren im Gegensatz zu den Zürchern und zum Teil zu den Bernern schon immer links. Ich bin überzeugt, es braucht radikale Forderungen, deshalb ist es mir bei den Grünen wohl.

Im Gegensatz zu den Schweizer Grünen sind die deutschen Grünen in die Mitte gerückt.
Mit ihrer Regierungsbeteiligung haben sie andere Voraussetzungen. Es braucht in derSchweiz eine Kraft links der SP.

Haben die Grünen Zukunft zum Beispiel in den nächsten Wahlen?
Sicher, wir werden zulegen, weil viele Leute in diesem Land hoffentlich merken, dass die ökologischen Bekenntnisse der bürgerlichen Parteien zwar zum Teil noch in Programmen stehen, aber nicht in die Tat umgesetzt werden. Deshalb braucht es die Grünen.

Ihr Sitz in St. Gallen wackelt werden Sie ihn verteidigen können?
Ich hoffe es, wir tun dafür alle vier Jahre unser Möglichstes.  
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