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Der Einsatz für die weltweite Verwirklichung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung lohnt sich

Pia Hollenstein ist seit drei Jahren Präsidentin der Vereinigung "Freundinnen und Freunde der Neuen Wege". Aus Anlass ihres 50. Geburtstags am 13. September dieses Jahres befragte sie der Redaktor zu ihrem Weg zu den Neuen Wegen und zu ihrer "religiös-sozialen" Grundhaltung als grüne Politikerin. Das Gespräch zeigt eine vielseitige Nationalrätin, die sich durch ein Drittwelt-Engagement auf ihre politische Arbeit vorbereitet hat und sich heute als linke und pazifistische Flügelfrau innerhalb der Grünen Partei versteht. Die Grundwerte von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind unserer Gesprächspartnerin wichtig. In ihnen verbinden sich für sie Religiöser Sozialismus, kirchliches Engagement und grüne Politik.

NW: Pia Hollenstein, Anlass für dieses Gespräch ist Dein 50. Geburtstag am 13. September, zu dem ich Dir im Namen unserer Leserinnen und Leser ganz herzlich gratuliere. Es ist eine schöne Tradition unserer Zeitschrift, Persönlichkeiten, die sich um die Neuen Wege verdient gemacht haben, an runden Geburtstagen zu einem Gespräch einzuladen und dadurch unseren Leserinnen und Lesern näher zu bringen. Du bist seit drei Jahren Präsidentin der Vereinigung "Freundinnen und Freunde der Neuen Wege“, mit „erst" 50 Jahren die jüngste, die es je gab, übrigens auch die erste Frau in diesem Amt und die erste, die aus der Grünen Partei der Schweiz kommt. Wie fühlst Du Dich in Deiner Funktion bei den Neuen Wegen?
Danke für die Glückwünsche. Mir sind Kontakte mit Gleichgesinnten ausserhalb der Politik sehr wichtig. Ich mache die Arbeit für die Neuen Wege zusammen mit dem Vorstand sehr gern. Da ich die Grundausrichtung der Religiös-Sozialistischen Vereinigung und der Neuen Wege teile, fühle ich mich bei dieser Aufgabe zu Hause. Mein Wohlbefinden in einer Umgebung ist nicht primär von deren Parteizugehörigkeit abhängig, sondern von den Menschen und ihrer Gesinnung. Die Arbeit für die Neuen Wege ermöglicht mir, mich vermehrt mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die ökonomischen und die politischen, aber auch die spirituellen Bedingungen einer solidarischen, friedensfähigen und ökologischen Gesellschaft realisiert werden können.

NW: Das führt uns zur Frage nach Deinem Verhältnis zum Religiösen Sozialismus. Als Dein Vorgänger Hansjörg Braunschweig Dich fragte, ob Du Präsidentin der "Freundinnen und Freunde der Neuen Wege" werden möchtest, wolltest Du zuerst Genaueres über unser "Sozialismusverständnis" erfahren. Ich habe Dir damals verschiedene Texte über den Religiösen Sozialismus geschickt. Darauf liess Dein positiver Bescheid nicht lang auf sich warten. Worin liegt für Dich als umweltpolitisch engagierte Politikerin, aber auch als Kämpferin für die Menschenrechte und als Friedensfrau die Übereinstimmung mit dem Religiösen Sozialismus?
Mein grünes, feministisches und pazifistisches Engagement deckt sich weitgehend mit den Zielsetzungen des Religiösen Sozialismus. Zusammen mit den Resos bin ich überzeugt, dass sich der Einsatz für die weltweite Verwirklichung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung lohnt. Indem der Religiöse Sozialismus immer wieder auf die Sinnfrage verweist und die ethische Verantwortung in der Welt betont, begleitet und vertieft er meine politische Arbeit als Anwältin für die Umwelt, die soziale Gerechtigkeit, die demokratische Partizipation in Staat und Gesellschaft, den Schutz der Minderheiten und die Gewaltfreiheit. Ich könnte auch sagen, die Grundwerte des Religiösen Sozialismus seien deckungsgleich mit den Grundwerten der Grünen Partei. Was hinzu kommt, ist die spirituelle Dimension.

NW: Eine politische Partei kann ja auch keine Spiritualität verordnen. Diese ist Sache der einzelnen Mitglieder und ihrer besonderen Motivation für die politische Arbeit. Aber ich nehme an, dass viele Grüne aus dieser Spiritualität zu einem politischen Engagement gekommen sind.
Ja, trotz Kirchenfrust haben sich viele Mitglieder der Grünen und wohl auch der SP ihre Spiritualität bewahrt.

NW: Dein Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist auch nicht erst von heute. Du bist Mitglied der Ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Appenzell/St. Gallen. Du hast ebenfalls einen vierjährigen Theologiekurs für Laien absolviert. Damit wird Dein kirchlicher Hintergrund deutlich. Wie aber hat sich Deine "kirchliche Sozialisation" entwickelt? Du bist auf einem Bauernhof im Toggenburgischen Libingen aufgewachsen, in einer katholischen Familie mit fünf Brüdern und drei Schwestern. Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass diese Herkunft Dir eher den Weg zur CVP nahegelegt hätte?
Es kommt vor, dass Freundinnen und Freunde aus der CVP mich auf meine CVP-Wurzeln ansprechen, etwa auf die Tatsache, dass doch mein Vater jahrzehntelang für die CVP im Gemeinderat von Mosnang gewesen ist. Wenn ich dann höre, dass ich doch eigentlich in der "falschen Partei" sei, antworte ich, dass ich mir eine Mitgliedschaft in der CVP dann überlegen könnte, wenn diese Partei die christlichen Werte, die sie zu vertreten vorgibt, auch wirklich leben und verwirklichen würde. Meine katholische Erziehung hatte nebst Einengung und Drohpädagogik auch und vor allem etwas sehr Befreiendes. Ich hatte aus dem spürbar gelebten Glauben meiner Eltern früh erfahren, dass wir für unser Tun zwar die Verantwortung tragen, dass aber die Machbarkeit nicht allein in unseren Händen liegt. Für dieses mir geschenkte Urvertrauen bin ich noch heute dankbar.

NW: Wurdest Du durch Deine Familie politisiert? Hast Du Geschwister, die auch Deinen politischen Weg gegangen sind?
Ich wurde in der Familie politisiert. Als 19jährige liess ich mir Unterlagen vom Komitee für das Frauenstimmrecht zukommen. Das war wohl mein erstes politisches Engagement. Ich konnte die Pro-Argumente gut gebrauchen, denn mein Vater war gegen das Frauenstimmrecht. Im Kanton St. Gallen gehörte er zur Mehrheit, die das Frauenstimmrecht in der eidgenössischen Volksabstimmung 1971 ablehnte. Er meinte, wenn eine Ehe gut funktioniere, würden ohnehin beide Teile gleich stimmen. Für mich war es absolut unverständlich, dass mein Vater und meine Brüder in politischen Fragen entscheiden konnten, während ich dazu als Frau – einfach weil ich Frau bin - nichts zu sagen hatte.

Von meinem Vater habe ich aber gelernt, dass man sich einerseits für die sozial Schwächeren einsetzen und anderseits Natur und Umwelt Sorge tragen soll. Wäre mein Vater 60 Jahre jünger, könnte ich ihn mir gut bei den Grünen vorstellen. Wie es bei unserer diskutierfreudigen Familie nicht anders sein kann, bin nicht nur ich in die Politik eingestiegen. Zwei meiner Brüder machen aktiv mit bei den Grünen. Ein weiterer Bruder ist für die CVP Gemeindeammann. Eine Schwester hat ebenfalls den Weg zur CVP eingeschlagen.

Eigentlich hatte ich mir früher einmal ein politisches Engagement ohne Partei vorgestellt. Ich musste dann aber einsehen, dass eine wirkliche politische Einflussnahme nur innerhalb einer Partei möglich ist. Darum bin ich zu den Grünen gegangen. Und heute bin ich froh um diesen Schritt.

NW: Bist Du bei den Grünen nicht etwas am Rande des politischen Spektrums, gewissermassen eine linke und pazifistische Flügelfrau?
Ja, ich stelle mich selber dorthin. Wobei der Pazifismus bei den Grünen nichts Besonderes ist. Der Feminismus gewiss auch nicht. Was das soziale Engagement betrifft, positioniere ich mich innerhalb der Grünen Partei klar am linken Flügel. Das hat natürlich auch mit der Geschichte der St. Galler Grünen zu tun, die ursprünglich aus der Grünen Alternative St. Gallen GRAS hervorgegangen sind. Ich gehöre zu jenen, die sich nach wie vor für eine Armeeabschaffung stark machen. Ich gehöre aber zu den Wertkonservativen, wenn es um die Zulassung der aktiven Sterbehilfe geht, die ich mit meiner Berufsethik nicht vereinbaren kann.

NW: Wie hältst Du es mit der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs?
In dieser Frage möchte ich den Frauen die Entscheidungsfreiheit zugestehen. Ich glaube auch, dass es mit einer Liberalisierung weniger Abbrüche geben wird. Ist der Schwangerschaftsabbruch keine strafbare Handlung, dann kann auch offener darüber und über mögliche Alternativen gesprochen werden.

NW: Inwiefern hat Dein beruflicher Werdegang zu Deiner Politisierung beigetragen? Du bist einerseits diplomierte Krankenschwester und arbeitest heute als Berufsschullehrerin im Gesundheitswesen, anderseits warst Du drei Jahre in Papua Neu Guinea als Leiterin eines Health Centre im Busch. Gibt es da Erfahrungen, die Dich geprägt und Deine politische Orientierung beeinflusst haben?
Die ganze Auslanderfahrung ist bis heute prägend für mein politisches Engagement. Mein Einsatz in Papua Neu Guinea öffnete mir Herz und Augen für die weltweiten Zusammenhänge. Ich wurde mir vermehrt bewusst, dass unser persönliches und politisches Handeln – oder auch unser Nicht-Handeln – hier in der Schweiz mit dem Leben der Menschen in anderen Ländern und Kontinenten zu tun hat.

Erst durch meine Auslanderfahrung lernte ich die Schweiz richtig kennen. Ich habe dabei auch sehr viel über mich selbst und über meine Kultur erfahren. Als ich in die Schweiz zurückkam, konnte ich mich auch für meine politischen Werte sehr viel bestimmter einsetzen, als dies mir zuvor möglich gewesen wäre. Weil ich mich auf konkrete Erfahrungen berufen konnte, habe ich mir eher zugetraut, hier in der Schweiz für mehr Gerechtigkeit einzutreten. und mich dazu auch besser imstande gefühlt.

Mit diesem andern Blickwinkel habe ich mich dann 1987 den Grünen angeschlossen und auch für den Gemeinderat der Stadt St. Gallen kandidiert. Zwar hatte ich mich früher schon politisch engagiert. Auch meine Entscheidung, in einem Entwicklungsprojekt von "INTERTEAM" (INTERTEAM ist eine ökumenische Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, mit Sitz in Luzern, das Fachleuten in lokale Entwicklungsprojekte drei- bis fünfjährige Personaleinsätze in Lateinamerika, Afrika und dem Südpazifik vermittelt.) zu arbeiten, war politisch motiviert. "Interteam" bot mir Gewähr dafür, dass meine Arbeit wirklich den Bedürftigen zugute kam und nicht irgendeiner Oberschicht.

NW: Ein solcher Entscheid kommt ja nicht über Nacht. Gehörte es auch zu Deiner kirchlichen Sozialisation, dass Du Dich entwicklungspolitisch engagieren wolltest?
Das hat mit meiner frühen Jugendzeit zu tun, als Missionarinnen und Missionare in unsere Gemeinde kamen und von ihrer Arbeit für die Armen berichteten. Solche Berichte faszinierten mich. Hinzu kam natürlich auch ein Stück Abenteuerlust. Was immer es auch im letzten gewesen sein mag, schliesslich wusste ich einfach, dass mein Weg mich in diese dreijährige Entwicklungsarbeit führen würde.

Meine übrigen politischen Engagements vor dem Beitritt zu den Grünen waren eher bescheiden. Ich hatte Briefe und Proteste gegen die Apartheid geschrieben oder das Konto bei einer Bank gekündigt, die mit dem damaligen Südafrika kommerzielle Kontakte pflegte. Darüber hinaus hatte ich auch schon an Friedensmärschen teilgenommen.

NW: Es gibt Leute, die nach einem solchen Engagement in einem Drittweltland die Rückkehr in ihre alte Heimat wie einen "Kulturschock" erfahren, der sie zur politischen Passivität verurteilt. Bei Dir war das genaue Gegenteil der Fall.
Schon vor meinem Einsatz in Papua Neu Guinea war mir bewusst, dass mein eigentliches, mein persönliches und politisches Engagement für eine bessere Gesellschaft nach meiner Rückkehr hier erst recht beginnen würde. Die Hintergrunderfahrung eines sogenannten Entwicklungslandes s sollte mich dafür besonders vorbereiten. Es diente zweifellos der Klärung meiner Motivation, dass ich unter diesem Blickwinkel meinen Einsatz angetreten habe. Einen "Kulturschock" konnte ich auch dadurch verhindern, dass ich die Kontakte zu meinen Freundinnen und Freunden in der Schweiz von Papua Neu Guinea (PNG) aus weiter pflegte. Als ich PNG verliess, bin ich zuerst durch Australien, Neuseeland und die USA gereist. Nach den Erfahrungen in den USA war die Schweiz schon fast "o.k." und konnte in mir keinen "Kulturschock" mehr auslösen.

NW: Inwiefern hat Dein beruflicher Werdegang als Krankenschwester zu Deiner Politisierung beigetragen? Das Gesundheitswesen unterliegt ja Rahmenbedingungen, die sehr wohl von der Politik gesetzt werden.
Nein, meine berufliche Arbeit im Gesundheitswesen hat mich kaum politisiert. Das politische Bewusstsein in der Berufsgruppe der Pflege ist noch immer sehr unterentwickelt. Erst durch meine politische Arbeit habe ich vermehrt eingesehen, wie diese Zusammenhänge sich darstellen. Mein Einsatz gilt heute klar der Besserstellung der Pflegenden.

NW: Da hat sich da und dort doch einiges geändert. Ich denke an die "Aktion Gsundi Gsundheitspolitik (AGGP)" in Zürich.
Es sollte auch an andern Orten solche Bewegungen geben. Ich sehe, wie sich immer mehr Pflegende zusammentun und sich bewusst werden, dass sie sich politisch engagieren müssen. Noch vor zwanzig Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass sich eine Krankenschwester um ein politisches Mandat bewerben würde. Heute gibt es schon an meiner Schule junge Frauen, die für den Gemeinderat und sogar für den Nationalrat kandidieren. Das Bewusstsein, dass Pflege mit Politik und Politik mit Pflege zu tun hat, ist vor allem bei den Jungen im Zunehmen begriffen. Das hängt auch mit dem alltäglichen Druck zusammen, den die Pflegenden vermehrt zu spüren bekommen.

NW: Was unterrichtest Du an der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Stephanshorn in St. Gallen?
Ich habe an der Schule eine 40-Prozent-Stelle. Auf das Nationalratsmandat mitsamt den Engagements an Wochenenden entfallen 70 bis 80 Prozent. Die Rechnung geht also nicht auf... Ich unterrichte vorwiegend pflegerische Fächer, die nach den neuen Ausbildungsbestimmungen an Stellenwert gewonnen haben. Ich bin auch für die politische Bildung zuständig, die an unserer Schule wie an den meisten Krankenpflegeschulen heute ein normales Unterrichtsfach geworden ist. Hinzu kommt noch die Berufsethik.

NW: Gibt es in der politischen Bildung keinen Konflikt zwischen der Dozentin und der Politikerin?
Ich bin mir bewusst, dass die Parteipolitik im Unterricht nichts zu suchen hat. Abstimmungsvorlagen, die ja auch Teil des Stoffplanes sind, lasse ich manchmal kontradiktorisch behandeln. Das war z.B. bei der Genschutzinitiative der Fall. Natürlich behandle ich nicht alle Vorlagen, sondern jene, die uns berufspolitisch angehen oder die nahe an die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler herankommen. Auch vor Wahlen organisiere ich Podien mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Parteien. Hinzu kommen praktische Fragen wie: Warum engagiere ich mich in einem Berufsverband? Welche Vorteile bringt eine Parteizugehörigkeit? Wie schreibe ich einen Leserinnenbrief?

NW: Seit 1991 gehörst Du dem Nationalrat an. Ich wundere mich oft über die Vielseitigkeit Deiner politischen Arbeit, bewundere sie auch. In der ersten Amtsperiode warst Du Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, 1995 hast Du Einsitz in die Verkehrskommission genommen. 1995 bis 1999 warst Du überdies in der Rechtskommission. Zahlreich sind auch Deine parlamentarischen Vorstösse. Sie betreffen die Verkehrspolitik, die Friedenspolitik und die Menschenrechte in der sogenannten Dritten Welt, vor allem in Afrika. Du bist vor politischen Abstimmungen aktiv – sei es für das Verbot der Kriegsmaterialausfuhr, die Genschutzinitiative, das Asylreferendum, die Verkehrshalbierungs-Initiative oder sei es für die Bilateralen Verträge. Wo hat Pia Hollenstein ihren politischen Schwerpunkt?
Vordergründig in der Verkehrspolitik, weil ich Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen bin. Aber als der einzigen Vertreterin der Grünen in unserem Kanton ist es mir gar nicht möglich, mich auf ein Thema zu beschränken. Ich kann mich auch nicht einfach zurücklehnen, wenn Probleme von Asylsuchenden oder Fragen aus dem Umwelt- und Naturschutz oder aus dem Tierschutz an mich herangetragen werden. So habe ich kürzlich eine parlamentarische Gruppe für Tierschutz gegründet, nachdem sich die Mehrheit des Parlaments der Forderung "Das Tier ist keine Sache" verweigert hatte. Wichtig ist für mich auch die Menschenrechtspolitik. Ich stehe für dieses Anliegen mit verschiedenen Hilfsorganisationen in Kontakt und habe u.a. den Sudan und Kolumbien bereist. Hinzu kommt die Gleichstellungspolitik, für die ich mich ebenfalls engagiere. Ich werde in der Öffentlichkeit daher als politische Generalistin wahrgenommen.

NW: Was war der Sinn Deiner Reise in den Sudan und nach Kolumbien?
Im Sudan ging es um eine Standortbestimmung von Hilfswerken. Eine parlamentarische Gruppe sollte ihnen bei der Klärung der gegenwärtigen Situation behilflich sein. Nach unserer Reise konnten wir für die schwierige Situation in diesem Land einiges an Öffentlichkeit herstellen. Ich habe z.B. einige Dia-Vorträge über den Sudan gehalten. Nach Kolumbien wurde ich von der dortigen Bischofskonferenz und der Caritas Schweiz eingeladen. Die kolumbianische Bischofskonferenz wollte sich bei europäischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern über die Menschenrechtsverletzungen in diesem Land Gehör verschaffen.

NW: Wie bist Du zu dieser Einladung gekommen?
Ich bin auch noch Verbindungsglied zur Arbeitsgruppe Schweiz–Kolumbien. Kolumbien ist nebst Papua Neu Guinea ein Schwerpunktland von Interteam-Einsätzen. Da ich über die Jahre hinweg immer mit Interteam in Kontakt stand, war es mir ein Anliegen, über mein Parlamentsmandat Druck auf die kolumbianische Regierung und natürlich auch auf lokale Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen auszuüben. Umgekehrt organisiere ich Kontakte zwischen Delegationen aus Kolumbien und dem DEZA oder mit Mitgliedern der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. So hat z.B. der Präsident dieser Kommission den Besucherinnen und Besuchern aus Kolumbien versprochen, dass er den "Plan Columbia", also das im wesentlichen militärische Programm der USA zur Drogenbekämpfung in Kolumbien, auf die Traktandenliste setzen werde.

NW: Hast Du den Eindruck, Dein Einsatz im Land selbst habe einen sichtbaren Erfolg hinterlassen?
Dieser Erfolg lässt sich schwer messen. Aber es wurde als aussergewöhnlich wahrgenommen, dass eine parlamentarische Delegation aus Europa vorbeikommt, mit dem Aussenminister spricht und die Menschenrechte sowie die Forderungen der Friedenskonferenz betont. Der Druck aus Europa auf die Regierung ist nicht zu unterschätzen. Aber auch die lokale Bevölkerung fühlt sich nicht mehr allein gelassen, insofern bedeutet für sie eine solche Delegation eine grosse Ermutigung.

NW: Im März 1999 wurde ein Postulat der Rechtskommission überwiesen, das die "Untersuchung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu Südafrika in den Jahren 1948 bis 1994" verlangte. Ich stelle immer wieder fest, dass Du im Nationalrat die treibende Kraft hinter dieser Verarbeitung einer anderen düsteren Vergangenheit bist, die ebenfalls durch die offizielle Schweiz noch viel zu sehr verdrängt wird. Was erwartest Du von der erwähnten "Untersuchung"?
1987 hatte ich mit einer einfachen Anfrage den Bundesrat ersucht, die Beziehung der Schweiz zu Südafrika während des Apartheidregimes aufzuarbeiten. Weil jedoch der Bundesrat sich auf den Standpunkt stellte, es bestehe kein Handlungsbedarf, da die Fakten ja bekannt seien, habe ich mit einer Parlamentarischen Initiative nachgedoppelt. Der Nationalrat hatte grundsätzlich nichts gegen eine solche Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber Firmen und Banken sollten nicht verpflichtet werden, Einsicht in ihre privaten Archive zu gewähren. Jetzt wird wenigstens mit einem Nationalfondsprogramm die Untersuchung an die Hand genommen. Ich hoffe , dass wir dadurch Belege und Hinweise über das Verhalten der staatlichen Institutionen der Schweiz und der Wirtschaft gegenüber dem Apartheidregime und über das Ausmass der wechselseitigen Beziehungen erhalten werden. Vieles wird davon abhängen, inwiefern die Einsichtspraxis in die Archive durch die Bundesstellen wirklich liberal gehandhabt wird und ob die Nationalfondstudie auch wirklich die brisanten Fragen stellen wird.

Aus diesen ersten Erkenntnissen wird sich weiterer Handlungsbedarf für die Forschung, eben auch im Bereich der privaten Beziehungen von Banken und Versicherungen, ergeben. Das Verhältnis der Schweiz zu Südafrika kann sich langfristig nur dann positiv entwickeln, wenn wir uns der Vergangenheit stellen.

NW: Wo siehst Du Handlungsbedarf für die verantwortlichen Firmen, Banken und Versicherungen?
Bis heute wollen Wirtschaft und Politik ihre damalige Mitverantwortung für das Apartheidregime und dessen Verbrechen nicht zugeben.

NW: Unter anderem haben sie die wirtschaftlichen Sanktionen der UNO unterlaufen.
Ja, die Schweiz war das einzige westliche Land mit bedeutenden Beziehungen zu Südafrika, das keinerlei wirtschaftliche Sanktionen ergriffen hat. Es geht um ein Verhältnis zu einem Regime, das von der UNO-Vollversammlung wie der Nazistaat als "Verbrechen gegen die Menschheit" verurteilt wurde. In Südafrika gibt es eine breite Bewegung, die dafür kämpft, die Wahrheit über die internationalen Finanz-, Wirtschafts- und Politverflechtungen zu erfahren. Wichtig ist, dass wir uns in der Schweiz nicht aus der Verantwortung stehlen.

NW: Die Schweizer Banken haben dem Regime Darlehen gewährt, die man heute als "odious debts" bezeichnen müsste. Sie sind für die US-amerikanischen Banken eingesprungen, als diese sich wegen einer breiten, nicht zuletzt von den Kirchen getragenen Boykottbewegung aus dem Südafrikageschäft zurückzogen.
Da gibt es zweifellos noch offene Rechnungen. Die Schweiz ist mitverantwortlich für die hohen Auslandschulden von mindestens 26 Mrd. US-Dollars "Das sind 41 Mrd. Franken, die dazu gedient haben, die schwarze Bevölkerung Südafrikas zu unterdrücken und heute die mageren sozialen Ressourcen entziehen, welche für den Wiederaufbau dringend nötig wären. Von den 14,6 Mrd. Dollar Schuldengelder des öffentlichen Sektors stammen 20 % aus der Schweiz. Schuldenstreichungs- und Reparationsforderungen sind gestellt.

NW: Allerdings stelle ich fest, dass die offizielle südafrikanische Politik heute mit der Schweiz sehr glimpflich umspringt.
Noch ist dies der Fall. Würde die südafrikanische Regierung jetzt schon Forderungen stellen, so müsste sie befürchten, dass die schweizerischen Unternehmungen noch weniger investieren würden, als dies heute der Fall ist. Wie überall auf der Welt ist es nicht zuerst die Regierung, welche ihre Stimme erhebt, sondern Nichtregierungsorganisationen. Die Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika ist sehr breit abgestützt. Kirchen und Gewerkschaften spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Kampagne wird auch in der Schweiz von Entwicklungsorganisationen, kirchlichen und nicht kirchlichen Organisationen – von der Erklärung von Bern, der Aktion Finanzplatz Schweiz bis zum HEKS, und anderen – mitgetragen. Je eher wir in der Schweiz zu einer Wiedergutmachung oder Entschädigung bereit sind, desto besser wird sich die Beziehung für beide Seiten entwickeln.

NW: Als profilierte grüne Politikerin bist Du immer wieder Diffamierungen und sogar Drohungen ausgesetzt. Sogar bei der Verkehrshalbierungs-Initiative wurde Dir Gewalt angedroht, wenn Du Deine Meinung nicht "sofort" ändern würdest. Wie gehst Du damit um?
Es war eine schlimme Drohung. Ich habe deshalb Anzeige erstattet. Schliesslich erfüllt eine solche Drohung den Tatbestand einer strafbaren Handlung.

NW: Wie verhalten sich die staatlichen Organe bei derartigen Anzeigen?
Darüber könnte ich fast ein Buch schreiben. Es war ja nicht meine erste Anzeige. Ein Jahr zuvor hatte ich eine Morddrohung auf dem Telefonbeantworter. Sie kam aus einer Telefonkabine in Luzern und lautete: "Das Boot ist voll, Sie müssen standrechtlich erschossen werden." Auslöser war ein vom "Beobachter" veröffentlichter Brief, worin ich dem Redaktor für sein Editorial gratulierte, welches titelte: : "Das Boot ist nicht voll."

Bei unserer Kantonspolizei ist es immer mühsam, die diensthabenden Leute davon zu überzeugen, dass solche Drohungen einerseits strafbare Handlungen, anderseits ernst zu nehmen sind. Auch aus diesem Grund habe ich den Sicherheitsdienst der Bundesversammlung ersucht, diese Probleme anzugehen. Jetzt muss ich bei der nächsten Drohung wenigstens nicht mehr die Kantonspolizei auf den Knien bitten, dass sie meine Anzeige überhaupt aufnehmen, ich kann künftig direkt in Bern anrufen, damit die nötigen Vorkehrungen getroffen werden.

Wichtig ist, dass die Diffamierungen und Drohungen, denen Politikerinnen und Politiker ausgesetzt sind, enttabuisiert und bekämpft werden. Das ist durch die Diskussion der letzten Monate weitgehend passiert. Wir haben Öffentlichkeit hergestellt für die Erkenntnis, dass es bei der Androhung von Gewalt um eine strafbare Handlung geht und dass die Täter – ich wähle bewusst die männliche Form – verfolgt werden. Zuvor konnten diese davon ausgehen, dass ihnen ja doch nichts passieren würde. Natürlich weiss ich nicht, wer und was hinter einer solchen Drohung steht. Die Einschätzung, dass es sich um pathologische Motive handelt, macht die Täter aber nicht weniger gefährlich.

Seit ich mit diesem Problem an die Öffentlichkeit gegangen bin, habe ich übrigens keine Morddrohungen mehr erhalten.

NW: Mitunter kann man sich fragen, ob Pia Hollenstein sich für die Politik verzehrt oder auch noch leben weiss.
Abstand von der Politik ist mir sehr wichtig. Ich versuche vor allem in den Bergen aufzutanken. Ich klettere leidenschaftlich und unternehme auch Hochtouren. Zum Beispiel habe ich vor zwei Jahren den Mont Blanc bestiegen, was aber gleichzeitig eine politische Aktion war. Die Besteigung war der Höhepunkt einer Aktionswoche der internationalen Alpenschutzbewegung Mountain Wilderness, woran auch Parlamentarier aus Frankreich und Italien teilgenommen haben. Anschliessend habe ich auch einen Vorstoss eingereicht mit der Forderung, das Mont Blanc-Gebiet ins Verzeichnis der Weltnaturgüter, ins UNESCO-Inventar, aufzunehmen. Eben komme ich von einer Velo-Woche entlang der Donau zurück. Ich jogge ein- bis zweimal pro Woche. Aber auch das Zusammensein mit Freundinnen und Freunden ausserhalb der Politik ist mir sehr wichtig. Und dann gibt es Zeiten, wo ich mich gern zurückziehe, um einfach zu Hause zu sein.

NW: Welches sind Deine Pläne für die nähere und fernere Zukunft?
Diese Frage hat mir schon lange niemand mehr gestellt. Aber vielleicht ist der 50. Geburtstag wirklich ein Moment, darüber nachzudenken. Ich fühle mich mit meinen Kräften und Energien so gut in Fahrt, dass ich in den nächsten Jahren auf meinem Weg weiter machen möchte. Wie in den letzten Jahren werde ich also meine politische Arbeit als Nationalrätin und mein berufliches Engagement an der Krankenschwesternschule fortsetzen. Die beiden Bereiche sind durch Welten voneinander getrennt, gerade darum schaffen sie einen Ausgleich und ergänzen sich.

Was die Arbeit für die Neuen Wege angeht, freue ich mich auf das "Projekt 2001", das es uns erlauben wird, die Zeitschrift in einer neuen Form zu präsentieren. Ich freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit dem Vorstand und hoffe, unsere Leserinnen und Leser bei der einen oder andern Gelegenheit besser kennenzulernen.  
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