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Häusliche Gewalt hat auch mit Machtverteilung zu tun

Wenn in der Zeitung einmal mehr von «Familiendrama» die Rede ist, hat das auch mit der Rolle der Geschlechter und mit der Verteilung der Macht in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu tun. Um der häuslichen Gewalt langfristig entgegenzuwirken, muss deshalb auch die Frage der Machtverteilung gestellt werden.

So traurig es ist, dass dieser Anlass zum Thema «Stoppt Gewalt gegen Frauen» nötig ist, ich danke Amnesty für das Lancieren der Kampagne und ich danke allen für das Kommen, für das Mitdiskutieren. Für einmal hatten die Ostschweizer Kantone St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden Pionierfunktion, und zwar in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Andere Kantone sind diesen Beispielen gefolgt. Regierungsrätin Heidi Hanselmann wird mehr darüber berichten.

Doch ein gutes Gesetz in den Kantonen und auf Bundesebene reicht nicht. Was es braucht, ist zum einen Aufklärung über diese Art von Gewalt. Es braucht immer wieder Menschen, die sich klar dagegen wehren, dass häusliche Gewalt als Privatsache oder als Kavaliersdelikt abgetan wird. Und es braucht einen konsequenten Vollzug der bestehenden Gesetze. Schliesslich müssen wir uns fragen, was das für eine Gesellschaft ist, die dermassen weit verbreitete häusliche Gewalt zulässt. Und wie es kommt, dass kaum Geld für die Opfer dieser Gewalt bewilligt wird. Ein Zufall ist es jedenfalls nicht. Diese Gesichtspunkte sollen der Rahmen meines Referats bilden.

Häusliche Gewalt ist eine Realität, die lange totgeschwiegen wurde. Noch immer ist häusliche Gewalt mit vielen Vorurteilen verbunden und wird zum Teil noch heute als private Angelegenheit betrachtet. Doch ein Blick in die Zeitung genügt, um zu wissen, dass sie alles andere als Privatsache ist. Weltweit wird jede dritte Frau in ihrem Leben mit einer Form der Gewalt konfrontiert, weil sie eine Frau ist, und weil Männer damit ihre Herrschaftssysteme aufrechterhalten wollen. In der Schweiz sind die Zahlen ebenfalls erschreckend hoch. Jede fünfte Frau in unserem Land erlebt physische oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner. Wir sind heute versammelt, um gemeinsam und laut zu sagen: Gewalt gegen Frauen ist ein Skandal. Diesem Menschenrechtsskandal will Amnesty International jetzt ein Ende setzen, gemeinsam mit Frauenbewegungen auf der ganzen Welt, die seit Jahren gegen diese Gewalt kämpfen.

Wir müssen uns verschiedene Fragen stellen. Weshalb wird häusliche Gewalt nicht öfters thematisiert? Weshalb ist häusliche Gewalt so häufig? Und: Was können wir tun? Was müssen wir tun? Ich als Politikerin habe die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass aus dem privaten ein politisches Thema wird. Jüngstes Beispiel dafür ist, dass ich in der Herbstsession zum dritten Mal in einem Vorstoss den Bundesrat auffordern werde, dass Armeewaffen übers Wochenende und nach Dienstende nicht nach Hause genommen werden dürfen, sondern im Zeughaus bleiben müssen. Obwohl das Thema immer wieder diskutiert wurde, hatte sich der Bundesrat bis anhin fahrlässigerweise geweigert, auch nur eine Statistik zum Thema Militärwaffen und kriminelle Handlungen in Auftrag zu geben. Aufgrund einer Untersuchung von Dritten, die das Gefährdungspotenzial durch Militärwaffen im Zivilen zeigt, ist jetzt zu hoffen, dass sich auf Bundesebene etwas tut. Profitieren würden davon nicht zuletzt die Frauen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist das weltweit verbreitetste und alltäglichste Menschenrechtsproblem: über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg, quer durch Schichten und Altersklassen, in allen Ländern der Welt. Eine Gesellschaft aber, die weltweit ungleiche Macht- und Besitzverhältnisse als gegeben akzeptiert, schafft damit auch weltweit den Nährboden für ein Klima der Gewalt an schwächer Gestellten, also an Kindern, Alten, Kranken und eben Frauen.

Über häusliche Gewalt zu sprechen heisst auch, zu thematisieren, die Kultur des Patriarchats zu kritisieren. So sind wir heute auch da, um gegen die patriarchalen Strukturen zu protestieren. Gegen patriarchale Strukturen, die Frauen unterdrücken, Frauen ausbeuten, missbrauchen oder Gewalt an Frauen zulassen, ja geradezu zum Ziel haben.

Gewalt gegen Frauen hat mit Machtmissbrauch zu tun, mit gesellschaftlichen Fakten. Die Machtverteilung ist bekanntlich sehr unterschiedlich. Die Rollen von Frau und Mann sind gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich nicht als gleichwertig anerkannt. Auch wenn es nicht populär scheinen mag, Geschlechterquoten könnten mittelfristig durchaus etwas daran ändern. Immerhin hatte die entsprechende Volksinitiative die Diskussion über die marginale Vertretung der Frau beflügelt.

Damit wären wir beim Geld, das ganz folgerichtig weit überproportional für Anliegen investiert wird, die Männern näher liegen als Frauen. Und dies, obwohl sich volkswirtschaftlich zum Beispiel gut ausgebaute Infrastrukturen für Frauenhäuser rechnen würden. Obwohl bekannt ist, dass häusliche Gewalt für Frauen direkte und indirekte, kurzfristige wie langfristige Beeinträchtigungen und Schäden der Gesundheit zur Folge hat, gibt es nur ungenügende Beratungs- und Betreuungsangebote. Frauenhäuser und Beratungsstellen für vergewaltigte Frauen und Mädchen sind immer noch im Bereich der so genannten «alternativen» Angebote angesiedelt: Es gibt in der Schweiz weder eine flächendeckende Versorgung noch sind die bestehenden Einrichtungen ausreichend subventioniert. Unter dem aktuellen Spardruck werden diese Angebote eher ab- als ausgebaut.

Tatsache ist leider, dass bei Budgetdebatten für Anliegen, die Frauen besonders betreffen, die SVP und ihr verwandte Parteien regelmässig Kürzungsanträge einbringen. In vielen Kantonen – auch in St.Gallen - wird jeweils versucht, Beiträge an Frauenhäuser zu kürzen. Und der Bund delegiert die Unterstützung von Frauenhäusern an Kantone und Gemeinden. Ich erinnere mich an eine Intervention am internationalen Frauentag 2004. Ich hatte das Anliegen in einer so genannten Fragestunde im Nationalrat eingebracht. Bundesrat Merz hatte erwartungsgemäss nichts zugesichert. Immerhin, er kam nachher auf mich zu und fragte, ob die Unterstützung der Frauenhäuser denn wirklich nötig sei. Diese Ignoranz ist typisch – nicht nur für Bundesräte. Deshalb sind der heutige Anlass und die folgende Kampagne ja so wichtig.

Häusliche Gewalt wird noch immer tabuisiert. Immer noch wird sie als ein Frauenproblem abgetan, dabei betrifft es die ganze Gesellschaft. Darüber hinaus braucht es auch den Mut, persönlich zu intervenieren, wenn häusliche Gewalt in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis stattfindet.

Ich komme zum Schluss: Es braucht vieles, um der häuslichen Gewalt paroli zu bieten. Teil davon ist präventive, geschlechtsspezifische Arbeit im Bildungsbereich. Es braucht Massnahmen, beispielsweise Quoten, die Frauen denselben Zugang zu Schaltstellen der Wirtschaft und Politik, zu den Medien und zu gesellschaftlich wichtigen Funktionen ermöglichen.

All diese Massnahmen dĂĽrfen auch etwas kosten. Und stellen wir uns im Rahmen dieser Kampagne von Amnesty bewusst auch die Frage, wie die Machtverteilung zwischen den Geschlechtern aussieht – und wie sie aussehen mĂĽsste, um der häuslichen Gewalt den Boden zu entziehen.  
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