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«Es hängt nicht von uns ab, aber es kommt auf uns an.»
Diplomrede Kurs 18, DN II, Schule für Gesundheits- und Krankenpflege, Stephanshorn, St. Gallen, 29. September 2007

Sehr geehrte Damen und Herren der Schulkommission, sehr geehrter Herr Schulkommissionspräsident, sehr verehrte Gäste aus der Praxis, dem Gesundheitsdepartement, liebe Kolleginnen und Kollegen – und vor allem liebe Diplomandinnen, lieber Diplomand sowie liebe Angehörige.

Heute ist für uns alle ein besonderer Tag: Ein Tag der Freude. Grund zur Freude haben wir von der Schule und Sie aus der Pflegepraxis. Wieder erhalten 17 junge Menschen das Pflege-Diplom. Wir alle freuen uns mit den auswärtigen Dozierenden und den Verantwortlichen in der Praxis, dass unser Wirken so weit gefruchtet hat, dass fast alle die Schlusshürde schafften. Auch denjenigen, die das Examen später machen, wünsche ich gutes Gelingen und dann das verdiente Diplom.

Viel Anlass zur Freude haben aber auch die Angehörigen unserer frisch Diplomierten. Sie haben die jungen Menschen während der anspruchsvollen Ausbildung begleitet, unterstützt und damit auch zum Erfolg beigetragen. Doch am meisten freuen sich zu Recht die erfolgreichen Diplomierten selber. Endlich ist das lang ersehnte Ziel erreicht. Und wenn ihr pflichtgemäss auch noch diese Diplomrede habt über euch ergehen lassen, haltet ihr das ersehnte Dokument in den Händen.

Liebe Diplomierte, mit etwas Stolz dürft ihr ab heute den Titel «diplomierte Pflegefachfrau» oder «diplomierter Pflegefachmann» tragen. Dieser Titel ist eine Qualitätsauszeichnung und gleichzeitig eine Verpflichtung. Das eigentliche Berufsleben kann beginnen, den Grundstein dafür habt ihr gelegt.

Ich gratuliere euch, liebe Diplomandinnen, lieber Diplomand, ganz herzlich zu eurem Abschluss. Und ich freue mich mit euch. Ich denke gern an die Unterrichtsstunden mit euch und natürlich an die gemeinsame Barcelona-Reise zurück. Ich wünsche euch viele gute Erfahrungen im Beruf, vor allem aber «Passion for Life», also Enthusiasmus, das Leben anzupacken, eine Sehnsucht für das Leben und eine Sehnsucht, zu leben. Dann werdet ihr fähig sein, euch für eure Patientinnen und Patienten zu interessieren. Ihr werdet Heilung – oder würdevolles Sterben – ermöglichen können. Ihr habt viel geleistet; nicht immer war es leicht, nicht immer lustvoll. Denn die Ansprüche an den Pflegeberuf sind hoch, sowohl fachlich wie menschlich.

Der Abschluss der Ausbildung macht auch Neuem Platz. So fragt ihr euch diese Tage vielleicht hie und da: Was erwartet mich in den nächsten Monaten, in meinem künftigen Leben? Es wird von euch – zu Recht – eine professionelle Pflege erwartet.

Das neue Pflegeleitbild unseres Kantons nennt dazu fünf Leitthemen:
  1. Menschen als Individuen respektvoll behandeln
  2. kompetent pflegen
  3. wirksam pflegen
  4. partnerschaftlich handeln
  5. im gesellschaftlichen Kontext pflegen

Das Leitbild nennt also hohe Ansprüche. Wie ihr in der Ausbildung ja verinnerlicht habt, ist es wichtig, die ganzheitliche Sicht nicht aus den Augen zu verlieren. Das Wort Ganzheitlichkeit ist vielleicht eine veraltete Bezeichnung. Sie behält aber ihre Gültigkeit. Ich meine damit, alles in vernetztem Zusammenhang zu erkennen und entsprechend zu handeln. Dies bedeutet auch, die Strukturen in der Praxis zukunftsgerichtet, menschenfreundlich, also dem Menschen entsprechend, zu gestalten. Das ist ein weiterer hoher Anspruch, ich weiss. Trotzdem bedeutet es ein Ziel, das Sinn gibt.

Mit ganzheitlicher Sicht meine ich weiter, den Menschen als Menschen im Zentrum sehen, mit all seinen Facetten, in seiner ganzen Vielfalt. Menschenfreundliche Strukturen bedeutet, dass die Strukturen dem Menschen zu dienen haben und nicht umgekehrt. Denn wo Strukturen nur der Organisation und der Wirtschaftlichkeit dienen, kann kein Ort der Heilung sein. Die Gesetze der Wirtschaftlichkeit erfassen den Menschen nur sehr unvollständig.

Es gehört zu einem eurer schönsten Berufsziele, dass euer Arbeitsort, liebe Diplomandinnen, lieber Thomas, ein Ort der Heilung bleibt. Es braucht euch als beziehungsfähige Pflegende, politisch Denkende und Handelnde. Dass es wichtig ist, dass das Pflegepersonal auch auf die politischen Rahmenbedingungen Einfluss nimmt, brauche ich an dieser Stelle nicht mehr zu erläutern.

Zu den künftigen Herausforderungen gehört es auch, an euren Ansprüchen, die ihr an eine gute Pflege stellt, keine Abstriche zu machen. Es gilt, sich für eine hohe Qualität einzusetzen. Und dies nicht nur innerhalb der Spitalmauern. Wir müssen aufzeigen, was Pflege ist und was Pflege bewirkt – das ist das elfte Gebot einer Pflegefachperson. Euer Berufsdiplom ist das Fundament, um sich an der Pflegeentwicklung und der Gesellschaftsentwicklung aktiv beteiligen zu können. Jedenfalls hoffe ich, dass meine Bemühungen der Lektionen in «Politischer Bildung» noch Früchte tragen werden. Ich bin zuversichtlich.

Der Grundstein ist gelegt. Was heisst das sonst noch? Ihr seid befähigt, vermehrt Verantwortung zu übernehmen für die Steuerung des Pflegeprozesses, für alles was die Patientin oder den Patienten betrifft. Ihr könnt aber auch mehr Verantwortung in Organisation und Führung übernehmen, in der Förderung und Unterstützung der Mitarbeitenden. Dazu gehören die Fachangestellten Gesundheit oder die Mitarbeitenden in der Pflegeausbildung.

Die Erwartung an das Personal im Gesundheitswesen, Verantwortung zu übernehmen, hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Dazu kommt, dass ihr im Pflegealltag stark mit Sparmassnahmen konfrontiert seid. Die bewilligten Stellen sind extrem knapp, oft zu knapp gehalten. Wichtige pflegerische Verrichtungen können nicht mehr durchgeführt werden, auch wenn sie für den Genesungsprozess von grosser Bedeutung wären. Vielen Verantwortlichen an den Schlüsselstellen ist dies zu wenig bewusst. Und vielerorts fehlen noch immer Arbeitsplatzanalysen. Dies führe ich jetzt nicht weiter aus.

Der Diplomberuf der Pflege ist in den letzten Jahren von der Berufung zur Profession geworden. Das ist ein Glück. Positiv ist auch, dass er sich weiterentwickelt. Pflegeforschung ist zu einer wichtigen Aufgabe geworden. Damit kann und muss aufgezeigt werden, dass Pflege wirksam ist und somit einen wesentlichen Anteil an der Genesung der Patientinnen und Patienten hat. Den Entscheidungsträgern in Politik und selbst in den Betrieben muss belegt werden können, dass Pflege wirkt. Sonst fliesst kein Geld. Unbestrittenermassen unterstützt eine menschliche Zuwendung den Heilungsprozess. Aber es ist schwierig zu belegen, dass ein Gespräch zur Genesung viel beiträgt. Es ist natürlich kaum möglich, all unsere Handlungen, insbesondere die Wirkung der Gespräche und der Zuwendungen, zu benennen und zu begründen. Aber ihr habt in der Ausbildung das nötige Wissen erhalten. Der Grundstein ist gelegt.

Seit Anfang August habe ich mit der Arbeit in einer Abteilung der Gerontopsychiatrie in Wil ein zweites berufliches Standbein. Und ich staune, wie viel die Pflegenden im Umgang mit den Patientinnen und Patienten erreichen, die unter sehr grossen Alltagsdefiziten leiden, bei instabil psychisch Kranken und Demenzerkrankten. Die Theorie aus den Büchern ist nur ein Teil der Wirklichkeit.

Was will ich damit sagen? So banal es tönen mag, in der Pflege kommt es – nebst Fachwissen – darauf an, sich für die Menschen, für jeden einzelnen Patienten und jede einzelne Patientin, zu interessieren. Sich zu interessieren für seine Krankheit und seinen Pflegebedarf. Die Anforderungen an die Pflegenden steigen, wenn uns jemand auf den ersten Blick mit seiner Lebenswelt sehr fern ist. Dann ist Interesse zu zeigen, sich einzufühlen versuchen und aktive Zuwendung erst recht angezeigt. Der jüdische Arzt und Philosoph Mosche Ben Maimon hat es im 12. Jahrhundert so formuliert: «Lass mich im Kranken stets nur den Menschen sehen, sei er mir nun lieb oder lästig, sei er gut oder schlecht, arm oder reich, mächtig oder unbedeutend.» Interesse haben meint: Zu fragen, weshalb ist dieser Patient oder jene Patientin so, wie er oder sie sich verhält? Welch einzigartige Geschichte hat jene Patientin mitgebracht? Wodurch ist ihr heutiges Verhalten möglicherweise geprägt? Wo ist Unterstützung nötig und wo nicht? Interesse haben kann zu Verständnis – zum Verstehen – führen und kann die Beziehung wertvoll machen. Es kann im Idealfall dazu führen, auch so genannt schwierige Patienten zu mögen. Und dies wiederum kann zur Heilung beitragen.

Ich beobachte dies an meiner neuen Stelle in Wil tagtäglich: Erfahrene Pflegende verstehen dank ihrem Interesse an den ihnen anvertrauten Menschen die Erfahrungswelt der Kranken besser und schaffen so mehr Lebensqualität.

Echtes Interesse am kranken Menschen zu haben ist nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg. Aber wenn wir dies unterlassen, ist die Pflege als Beziehungsarbeit zum Scheitern verurteilt.

Ich hoffe, dass mit der Ausbildung hier an der Schule und in der Praxis der Samen gelegt ist fürs Interessehaben an Menschen. Und ich hoffe, dass in der weiteren Berufspraxis die Saat aufgehen wird.

Liebe Diplomandinnen, lieber Diplomand: Ihr werdet in Zukunft euren Arbeitsort mitprägen. Neues, Unbekanntes wird auf euch zukommen. Wagt immer wieder, Neues zu erkunden. Neues zu wagen verlangt auch, auf die innere Stimme zu hören. Hinter allem Äusseren – davon bin ich überzeugt - ist eine innere Führung am Werk. Auf diese innere Führung vertrauen zu können, wünsche ich euch allen in eurem neuen Lebensabschnitt. Der Berufsalltag darf allerdings niemals zum Selbstzweck werden.

Ich komme zum Schluss. Und wie es sich für eine Lehrerin gehört, noch drei gut gemeinte Ratschläge mit auf euren Berufsweg:
Seid realistisch, aber mit Träumen
Seid skeptisch, aber im Glauben an das Gute.
Bleibt engagiert, indem ihr euch für die Menschen interessiert.

Ihr habt einen einmalig schönen Beruf. Stünde ich heute nochmals vor der Berufswahl, ich würde den Pflegeberuf wieder erlernen. Für euer Berufsleben wünsche ich euch die Erkenntnis und die Gelassenheit, von der man sagen kann: «Es hängt nicht von uns ab, aber es kommt auf uns an.»  
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