Platzhalter   Platzhalter Pia Hollenstein
POLITIK

Referate | Artikel | Buchbeiträge | Presse
Zurück zur Eingangsseite
Startseite

Referat: Sterbehilfe - Wo stehen wir?

40 Jahre Schule fĂĽr Gesundheits- und Krankenpflege am Kantonsspital SG
Jubiläumsfortbildung zum Thema Sterben, 30. Oktober 2002


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Pflegende, liebe Kolleginnen und Kollegen

Es ist mir eine Ehre am 40 Jahr-Jubiläum dieser Schule sprechen zu dürfen. Davon habe ich vor 40 Jahren nicht geträumt. Damals – etwas mehr als ein Jahr nach der Einführung des Frauenstimmrechts – hätte ich aber auch nie erahnt, dass ich eines Tages als Nationalrätin vor Ihnen stehen würde. Zuerst möchte ich zum Jubiläum ganz herzlich gratulieren. Ich möchte den heutigen Tag auch für mich nutzen, um in der Frage der Begleitung in der letzten Lebensphase einen kleinen Schritt vorwärts zu kommen. Ich finde es wunderbar, dass zum Schuljubiläum die intensive sensible Phase der letzten Wegstrecke zum Thema gemacht wird. Nichts auf der Welt ist so gewiss wie die Tatsache, dass wir alle Sterben. Auch wenn wir weder den Tag noch die Stunde unseres persönlichen Abschiednehmens kennen.

Es ist mir eine Ehre als Nationalrätin und Berufskollegin zu Ihnen sprechen zu dürfen. Diese Kombination "Nationalrätin, Krankenschwester und Berufsschullehrerin" ist in der Geschichte der Eidgenossenschaft nämlich einmalig. Dass ich angefragt wurde, ist auch ein politischer Akt. Denn er verrät, dass die Verantwortlichen dieser Schule begriffen haben, dass Pflege und Politik ganz eng miteinander verbunden sind. Und diese Erkenntnis freut mich natürlich. Ich komme am Schluss meines Referates nochmals kurz auf den Zusammenhang Pflege und Politik zurück.

Nun zur politischen Diskussion in der Schweiz zur Sterbehilfe. Mit der öffentlichen Debatte im Nationalrat der letzten Jahre, wurde ein Tabu gebrochen. Nämlich: überhaupt über das Geheimnis des Todes und wie wir als Einzelne und als Gesellschaft damit umgehen, zu sprechen. Wir wissen aus unseren Lebenserfahrungen irgendwie schon, dass wir alle sterben; aber darüber zu sprechen, fällt den Meisten von uns nicht leicht. Vielleicht hat Woddy Allen ein Gefühl vieler Menschen aufgenommen, als er sagte: "Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert".

Nun, wie verlief in den letzten Jahren die politische Diskussion über die Sterbehilfe in der Schweiz? Damit wir alle vom gleichen reden, ist es nötig, zuerst die verschiedenen Formen oder Definitionen der Sterbehilfe zu erläutern.
  • Direkte aktive Sterbehilfe / Tötung auf Verlangen des Opfers
    Gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen. Sie ist heute nach Artikel 111 (vorsätzliche Tötung) Artikel 114 (Tötung auf Verlangen) oder Artikel 113 (Totschlag) StGB strafbar, d.h. verboten.
  • Indirekte aktive Sterbehilfe
    Sie liegt vor, wenn zur Linderung von Leiden Mittel eingesetzt werden, welche als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können. Diese Art der Sterbehilfe ist im geltenden Strafgesetzbuch (StGB) nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt.
  • Passive Sterbehilfe
    Verzicht auf die Aufnahme oder Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Diese Form der Sterbehilfe ist gesetzlich nicht ausdrĂĽcklich geregelt, wird aber als erlaubt angesehen.
  • Beihilfe zum Selbstmord
    Davon sprechen wir wenn einem Menschen, der Selbstmord begehen will, die notwendigen Mittel verschafft werden.
Die schweizerische Rechtssetzung ist also in zwei Punkten klar:
  • Beihilfe zu Suizid ist grundsätzlich nicht strafbar. Dies fĂĽhrt zu einem sogenannten "Suizidtourismus".
  • Die direkte aktive Sterbehilfe ist im Strafgesetzbuch verboten. Im letzten Winter hat das Parlament einem Vorstoss, der aktive Sterbehilfe in bestimmten Situationen und unter bestimmten Rahmenbedingungen straffrei machen wollte, eine Absage erteilt.
Der parlamentarischen Debatte ging eine gesellschaftliche Diskussion voraus. Auslöser war in den 70-er Jahren die Äusserung von Professor Hämmerle, damaliger Chefarzt des Triemlispitals, der öffentlich vertreten hatte, dass es gerechtfertigt sei, bei Menschen mit unheilbaren Krankheiten in der letzten Lebensphase, nicht mehr alles medizinisch Mögliche und Machbare auch anzuwenden. Es könne richtig sein, auf den Einsatz von Technik, von Medikamenten usw. zu verzichten. Dies war in den 70er Jahren, als die Möglichkeiten zu Therapien rasant zunahmen. Gleichzeitig kam auch ein Empfinden auf, man könne im Spital gar nicht mehr menschenwürdig Sterben. Da würde auch in Situationen, die zum Tode führten, fast ohne Grenzen therapiert. Viele Menschen hatten Angst, im Spital werde man allein gelassen – z.B. nach einem schweren Schädelhirntrauma oder nach einem Schlaganfall werde man mit allen Mitteln am Leben erhalten und könne nicht mehr eines sogenannt natürlichen Todes sterben. Aus dieser Angststimmung heraus ist dann auch EXIT, die sog. Vereinigung für humanes Sterben, gegründet worden: im Jahre 1982. Die erste Exit-Vereinigung ist aber schon 1935 in England entstanden.

Die offiziellen Ziele von Exit sind in der Exit-Publikation folgendermassen formuliert. Wir setzen uns ein fĂĽr:
  • Das freie VerfĂĽgungsrecht des Menschen ĂĽber sein Leben
  • Das Selbstbestimmungsrecht des Kranken
  • Das Recht des Menschen auf einen humanen Tod
  • Freitodhilfe fĂĽr sterbewillige Schwertskranke und Schwertsinvalide.
Welche Kriterien erfĂĽllt sein mĂĽssen, um als schwerstkrank oder schwerstinvalide zu gelten, wird nicht beschrieben.

Zurück zur Politik. 1994 wurde im Nationalrat ein Vorstoss eingereicht, der forderte, dass die bis heute verbotene aktive Sterbehilfe, die "Tötung durch Dritte", in bestimmten Fällen und unter bestimmten Umständen nicht mehr strafbar sein solle. Der Bundesrat war 1996 bereit den Vorstoss in der Form eines unverbindlichen Postulates entgegen zu nehmen und sicherte die Bildung einer Arbeitsgruppe von Fachleuten der Medizin, der Ethik, der Theologie, des Rechts und der Pflege zu. Sie sollte die Grundlagen für den Entscheid erarbeiten, ob Sterbehilfe überhaupt einer gesetzgeberischen Lösung zugänglich sei oder ob die Hilfe im Sterben der ärztlichen Berufskunst und –pflicht überantwortete bleiben müsse.

Die Mehrheit der Arbeitsgruppe kam zum Schluss, das in extremen und dramatischen Ausnahmefällen jene von der Strafe zu befreien seien, die aus Mitleid einen unheilbar und schwerkranken, vor dem Tod stehenden Menschen auf sein ernsthaftes und eindringliches Verlangen hin von einem unerträglichen Leiden befreien. Sie hatte also eine Lockerung von Artikel 114 Absatz 2 des Strafgesetzbuches vorgeschlagen.

Der Bundesrat folgte dann aber der Minderheit der Arbeitsgruppe. Er lehnte die Lockerung der Schutzpflicht des Staates allem menschlichen Leben gegenüber ab. Dies bedeutete, die Thematik war vom Tisch. – Vor zwei Jahren wurde dann dieselbe Forderung wie 1994 in der Form einer Parlamentarischen Initiative wieder eingebracht. Diese fand in der vorbereitenden Kommission eine Mehrheit, wurde aber im Rat, im Dezember 2001, mit einer Zweidrittelsmehrheit abgelehnt. Somit ist die Frage der teilweisen Straffbefreiung der direkten aktiven Sterbehilfe wieder weg von der politischen Agenda.

Gleichzeitig mit der Ablehnung der Straffreimachung von aktiver Sterbehilfe, hat der Nationalrat einen Vorstoss überwiesen, der verlangt, die bestehenden Gesetzeslücken betreffend der indirekten aktiven Sterbehilfe und der passiven Sterbehilfe nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) zu regeln. Zusätzlich soll der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur speziellen Förderung der Palliativmedizin vorlegen. Diese Arbeiten sind nun am Laufen. Die Förderung der Palliativmedizin und Palliativpflege ist auch eine der Schlussfolgerungen im Bericht der Arbeitsgruppe von 1999. Soweit die nationale Ebene.

Im Kanton Thurgau hat der Kantonsrat vor kurzem, diesen Herbst, einen Vorstoss überwiesen, der die Schaffung einer Palliativstation fordert. Das ist erfreulich und ist vor allem der guten Lobbyarbeit unseres Berufsverbandes, SBK, zu verdanken. Der zuständige Regierungsrat argumentierte nämlich, der Vorstoss sei abzulehnen.

Sie erahnen sicher an diesem Beispiel, wie wichtig es wäre, dass in den Parlamenten der Kantone, des Bundes, aber auch der Gemeinden, denen ja die ganze Spitex unterstellt ist, auch Pflegepersonal vertreten wäre. Es ist ja nicht so – da gehen Sie hoffentlich mit mir einig - dass Bäuerinnen und Bauern oder die Ärzteschaft politisch mehr zu sagen hätten als wir. Wir müssen aber – erlauben Sie mir diesen Abstecher, ich bin ja als Politikerin angefragt – wir müssen feststellen, dass es zum Beispiel im Nationalrat mit mir nur eine Person aus dem Pflegebereich gibt, aber 9 Ärzte und Ärztinnen und 24 Bäuerinnen und Bauern. Nichts gegen Bauern – ich bin auch eine Bauerntochter – aber ich habe etwas – irgendwie einen Ärger – wegen der massiven Untervertretung des Pflegepersonals in den politischen Gremien.

Jetzt möchte ich etwas sagen zu den Praktiken von EXIT-Organisationen in der Schweiz. Die Verantwortlichen von EXIT beteuern immer wieder, dass sie ausführliche Gespräche führen mit den Sterbewilligen. Dies wird durch eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie widerlegt. Diese weist nach, dass Freitodbegleiter den tödlichen Trank auch psychisch kranken Personen reichen und solchen, die aus sozialen Gründen sterben wollen. Die Autoren werfen Exit vor, bei ihrer Sterbebegleitung psychiatrische und soziale Faktoren einer Erkrankung zu wenig zu beachten. Aus der Suizidforschung ist ja bekannt, dass Personen, die sich das Leben nehmen wollen, nicht selten unter einer Depression litten. Die Ankündigung eines Suizids oder ein Suizidversuchs wird deshalb von Fachleuten in erster Linie als Hilfeschrei verstanden - und nur in seltenen Fällen als sorgfältig abgewogener und freier Entscheid, aus dem Leben zu scheiden. Diesen Aspekten werden die Suizidhilfeorganisationen oft ungenügend gerecht. Wenn ich jetzt von Vereinigungen rede, dann weil es unterdessen in der Schweiz deren vier gibt (EXIT, EXIT-International, DIGNITAS und Suizidhilfe).

Die Forscher waren erstaunt, dass deutlich mehr Frauen als Männer die Hilfe von Exit in Anspruch nahmen. Denn bei Suiziden dominiert sonst das männliche Geschlecht. Und zwar auf der ganzen Welt. Mehr noch: Unter den Sterbewilligen waren 16 Frauen, die älter als 65 waren und ihren Partner verloren hatten. Diese Übervertretung von älteren verwitweten Frauen könne nicht damit erklärt werden, schreiben die Autoren, dass diese Frauen ein grösseres Risiko hätten, an einer schweren oder tödlichen Krankheit zu erkranken.

Ferner half Exit – so die Forschungsarbeit - zwei Patienten beim Suizid, während sie in der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern stationär behandelt wurden. Daraus schliessen die Wissenschafter, dass frühere oder laufende psychiatrische Behandlungen für Exit kein Grund sind, um die Fähigkeit des Sterbewilligen anzuzweifeln, über seinen Tod umfassend und frei entscheiden zu können.

Bei 11 der insgesamt 43 Toten fanden die Forscher keine ernsthafte Krankheit. Bei fünf gab der Verlust eines geliebten Menschen den Ausschlag für den Todeswillen. So wollte eine 68-jährige Frau nicht mehr weiterleben, nachdem sie ihren behinderten Freund verloren hatte. Wegen «intolerabler Bauchschmerzen» war sie zuvor mehrmals operiert worden. Exit diagnostizierte Krebsschmerzen. Bei der Autopsie allerdings fand sich kein Tumor. Ein Ehepaar wollte zusammen sterben, weil die 72-jährige Frau unter Krebs im Endstadium litt und ihr Ehemann Angst hatte, nach dem Tod seiner Frau von andern abhängig zu werden. Eine 91-jährige Frau schliesslich wollte sterben, weil sie in ein Altersheim umziehen musste. – Das darf doch kein Grund für eine Selbsttötung sein. Spätestens an diesem Beispiel wird offensichtlich, dass von den sog. Sterbehilfeorganisationen die eigentlichen Beweggründe, die zum Suizidentscheid führen nicht ernst genommen werden, dass andere Hilfestellungen – z.B. mit dem schwierigen Entscheid ins Altersheim zu gehen, lernen umzugehen – in den Hintergrund treten, wenn das Angebot der Suizidhilfe durch eine Organisation gemacht wird.

Eine andere Entdeckung beunruhigte die Forschenden ebenfalls: Sechs von Exit in den Tod begleitete Personen waren mindestens einmal psychiatrisch behandelt worden - zwei waren sogar erst kurze Zeit vor ihrem Selbstmord aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden.

Über die Anzahl der Freitodbegleitung durch Exit gibt es auch Zahlen. In der ersten Hälfte des letzten Jahres hat Exit bei 70 Suiziden assistiert. Ein Jahr zuvor waren es in der gleichen Zeitspanne 41 Personen, die sich mit Hilfe von Exit umbrachten. Der Leiter von Exit, Herr Kriesi, sprach (letztes Jahr, als die Studie veröffentlicht wurde) von einem aktuellen Boom der Sterbebegleitung (NZZ.13.8.01). In Zürich töteten sich 2001 mit Hilfe von Dignitas 38 ausländische Personen mit letztem Wohnsitz im Ausland.

Die Schweiz ist über die Grenzen hinweg bekannt für die gesetzliche Legitimation der straffreien Beihilfe zum Selbstmord. Strafbar ist nur, wenn die Beihilfe aus sogenannten selbstsüchtigen Gründen leistet. Der Bekanntheitsgrad der Möglichkeit, in der Schweiz begleitet Suizid machen zu können, führte in den letzten Jahren dazu, dass immer mehr Suizidwillige sich bei den Organisationen melden und dann in die Schweiz kommen. Wie funktioniert das? Die Suizidwilligen melden sich bei Exit an, kommen dann z.B. am Bahnhof Zürich mit der Bahn an und werden dort abgeholt. Auf dem Weg zur Sterbewohnung wird in einer Praxis eines sog. exit-freundlichen Arztes vorbeigegangen, der das Rezept für das tödliche Mittel ausstellt. Dieses wird dann in der nächsten Apotheke gekauft. Und weiter geht’s zur Sterbewohnung. -- Ich persönlich meine, solche Praktiken müssen uns zu denken geben, auch wenn Beihilfe zu Suizid nicht strafbar ist.

Um in diesem Bereich Rahmenbedingungen zu schaffen, hat eine Ratskollegin von mir im September im Nationalrat einen Vorstoss eingereicht. Sie fordert gesetzliche Rahmenbedingungen, um zu verhindern, dass Zürich, Bern oder andere Städte, zu "einer Drehscheibe des internationalen Sterbetourismus" werden. Die Motionärin stellt folgende Forderungen auf:

Eingereichter Text
Der Bundesrat wird eingeladen, Vorschläge zur Neufassung von Artikel 115 StGB (Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord) zu unterbreiten oder ein entsprechendes Rahmengesetz vorzusehen. Dabei sollen die neueren Entwicklungen in der Suizidhilfe berücksichtigt werden, insbesondere die Suizidhilfe bei psychisch Kranken und in Fällen von sogenanntem "Sterbetourismus". Zu prüfen sind insbesondere die folgenden Anliegen:
  1. Suizidbeihilfe darf nur gegenĂĽber Personen mit Wohnsitz in der Schweiz geleistet werden.
  2. Sterbehilfeorganisationen sollen einer Registrierungs- und Bewilligungspflicht unterstehen. Ziel einer solchen Regelung muss die Vermeidung von Missbräuchen sein.
  3. Zwei Ärztinnen und Ärzte (evtl. der Amtsarzt bzw. Amtsärztin aufgrund der Beurteilung des Hausarztes bzw. Hausärztin) müssen die Konstanz des Sterbewunsches und die Urteilsfähigkeit der suizidwilligen Person unabhängig voneinander feststellen.
  4. Ein Werbeverbot fĂĽr Sterbehilfeorganisationen.
Dazu wird nun der Bundesrat Stellung beziehen mĂĽssen und anschliessend wird es darĂĽber im Nationalrat eine Debatte geben.

Erlauben Sie mir nun noch, meine persönliche Begründung darzulegen, weshalb aktive Sterbehilfe niemals straffrei werden darf.

Ich plädiere für eine Sterbehilfe als Lebenshilfe ohne aktive Sterbehilfe. In meinem Berufstätigkeit als Krankenschwester auf verschiedenen Intensivpflegestationen wurde ich schon seit Jahren mit der Frage konfrontiert, was unsere Aufgabe als Pflegende ist, um den letzten Lebensabschnitt für Sterbende möglichst menschenwürdig zu gestalten. Was sind die Aufgaben der Medizin und der Pflege, um eine optimale Schmerzbehandlung zu gewährleisten, um das Gefühl des Alleingelassenseins und des Nicht-mehr-gebraucht-werdens ernst zu nehmen? Die Frage nach einem würdigen Tod ist aber auch eine ethische Herausforderung an die Gesellschaft. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat der Glaube, alles sei machbar, in unserer Gesellschaft zugenommen. Damit eng verknüpft ist die Frage der so genannten Selbstbestimmung. So taucht die Frage auf: Habe ich nicht das Recht, meinem Leben selbst ein Ende zu setzen? Aber habe ich auch das Recht, einen Mitmenschen – auf seinen Wunsch hin – zu töten? Dies ist – wie oben erwähnt - in der geltenden Gesetzesregelung verboten und strafbar. Meines Erachtens darf diese Bestimmung unter keinen Umständen gelockert werden.

Wenn man aktive Tötung gesetzlich gestattet würde, und wenn durch eine Änderung der ärztlichen Ethik Suizidhilfe durch Fachpersonen gebräuchlich wird, so verändert sich auch das Klima für die psychisch und körperlich Hilfe- und Pflegebedürftigen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass mit einer Gesetzesänderung auch die Gefahr der Beeinflussung durch Verwandte und Bekannte oder sogar durch Betreuende steigt. Denn es ist auch und vor allem für die Umgebung oft nicht einfach, eine nahe stehende Person in der letzten Lebensphase zu begleiten und die schwere Zeit der Ablösung mitzumachen. Wie soll eine todkranke Person vor Beeinflussungen von aussen geschützt werden, wenn die gesetzliche Möglichkeit zur aktiven Sterbehilfe bekannt ist und sich die Person in einer hilflosen Situation befindet, in der sie sich nutzlos und nur noch als Belastung vorkommt?

Das Problem ist: Sobald wir eine technische Lösung zur Tötung erlauben, wird die Suche nach anderen Möglichkeiten wie die optimale Begleitung und Betreuung todkranker Menschen sehr schnell aufgegeben. Und wer garantiert, dass mit der absehbaren Zunahme von Betagten und sehr alten Menschen künftig nicht aus finanziellen Gründen nach «technischen Lösungen» gesucht wird? Natürlich ist eine optimale medizinische und pflegerische Versorgung in der Endphase sehr anspruchsvoll und bringt manche Betreuenden hie und da an die eigenen Grenzen, wie mit Leiden und Sterben umzugehen ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns als Gesellschaft der Frage stellen, wie die medizinische Behandlung und die Pflege von Menschen in der Endphase aussehen soll.

Die berechtigten Ängste derjenigen, die den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen möchten und dazu andere zu einer entsprechenden Handlung bevollmächtigen wollen, müssen unbedingt ernst genommen werden. Weshalb kommt jemand zu diesem Entschluss? Welche Hilfe wäre in dieser Situation echte Lebenshilfe oder eben echte Sterbehilfe?

Die Forderung, die aktive Sterbehilfe straffrei zu machen, beruht oft auf der Unkenntnis darüber, was heute schon möglich ist. Dazu kommt eine bestimmte oder unbestimmte Angst, in einer entsprechenden Situation lebenserhaltenden Massnahmen ausgeliefert zu sein. Diese Angst ist teilweise berechtigt. Denn Patientinnen- und Patientenverfügungen, die den Wunsch nach einem sanften Tod und Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen im Fall irreversibler Schädigung enthalten, sind nicht rechtsverbindlich. Dies ist nicht nur negativ: Eine Rechtsverbindlichkeit würde auch die Gefahr mit sich bringen, dass einer kranken Person die optimale Hilfe zu rasch und unüberlegt nicht zuteil würde.

Es ist unbedingt erforderlich, die für die Behandlung Zuständigen gut zu schulen, um in jedem Einzelfall eine sinnvolle und angemessene individuelle Entscheidung zu treffen. Diese Forderung ruft klar nach einer Verbesserung der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte. Palliativmedizin müsste sowohl in der theoretischen als auch in der klinischen Ausbildung vermehrt Raum gegeben werden. Es darf dabei nicht um eine Pflichtübung gehen, auch diesen Fachinhalt noch lernen zu müssen, sonder um eine neue Sichtweise. Nämlich: Wenn Heilung nicht mehr möglich ist, darf dies nicht weiterhin als medizinisches Versagen taxiert werden. Ausbildung muss die Sichtweise vermitteln, dass unheilbar Kranken in ihrer letzten Lebensphase eine entsprechende persönliche individuelle Begleitung zu gewährleisten ist. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel. Diesen muss auch die Gesellschaft erst noch vollziehen. Ein Spitaleintritt ist nicht vergleichbar mit einer Revision des Autos. Die Erwartungshaltung von Kranken, dass in jedem Fall Heilung zu erwarten ist, sollte auf den Boden der Realität gebracht werden.

Palliativpflege – auch das ist Politik, Berufspolitik - muss auch in der Krankenpflegeausbildung einen höheren Stellenwert bekommen. Oft wissen die Pflegenden um deren Wichtigkeit. Die Hindernisse, diese höher zu gewichten, liegen meist in der Spitalstruktur. Nur wenige Betten sind für Palliativmedizin vorgesehen. Die Verantwortlichen haben oft den hohen Stellenwert der Palliativpflege und –medizin noch nicht erkannt und es sind dafür in praktisch allen Spitälern zuwenig Stellen bewilligt.

Damit die Entwicklungen wie ich sie skizziert habe, möglich werden, braucht es mehr Pflegepersonen, die bereit sind, sich in der Politik zu engagieren. Ich verrate Ihnen: es ist eine – nebst viel Aufwand – ganz spannende, lustvolle Aufgabe.

Ich komme zum Schluss. Ich meine, wir müssen die Diskussion über unseren letzten Lebensabschnitt unbedingt öffentlich – auch ausserhalb der politischen Gremien und ausserhalb der Pflegeheime und Spitäler – führen. Natürlich werden wir bei dieser Fragestellung rasch mal auch auf die Gestaltung und Qualität unseres Lebens überhaupt verwiesen. Und das ist sicher gut so.

Ich wĂĽnsche mir und Ihnen, dass der heutige Tag einen Beitrag leistet, sensibel zu werden, Augen und Ohren offen zu halten, am Arbeitsplatz und im Privaten - nicht nur fĂĽr fragliche Praktiken von sog. Sterbehilfeorganisationen - sondern auch fĂĽr die wahren BedĂĽrfnisse der Menschen um uns. Wir alle sind sehr gefordert: beruflich und auch politisch.

Wenn wir uns vermehrt auf das Geheimnis des Sterbens einlassen, kommen wir dem Leben näher. Das eigene Sterben kann zwar nicht geĂĽbt werden, jede und jeder stirbt das erst Mal. Aber die Begleitung kann geĂĽbt werden. Ich meine, "man muss das Mögliche tun, um das Unmögliche zu berĂĽhren".  
Aktuelle Vorstösse und Wortmeldungen im Parlament
Aktuell


Informationen zu meiner Person
Portrait


Politische Schwerpunkte und Texte
Politik


Links zu Websites von mir nahestehenden Organisationen
Links


... und Seitenübersicht
Kontakt



Sterbehilfe - Wo stehen wir?