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Von Frau zu Frau in Nordkorea
erschienen auf www.ostschweizerinnen.ch, 6. Sept. 2006

Ich hatte Ende Mai Gelegenheit, auf Einladung des nordkoreanischen Frauenverbandes acht Tage Nordkorea zu besuchen. Anlass für unsere Einladung war das 60-jährige Jubiläum des Gleichstellungsgesetzes von Nordkorea. Ich reiste zusammen mit Anita Fahrni von alliance F, Thurgauer Kantonsrätin, den Nationalrätinnen Doris Stump (SP/AG), Ruth-Gaby Vermot (SP/BE) und Rosmarie Zapfl (CVP/ZH) sowie einer Vertreterin des EDA . Und um es vorweg zu nehmen: wir bezahlten die Reise selber.

Kontakte statt Isolation
"Bringt eine solche Reise was?" werde ich oft gefragt. Sicher ist dies schwer messbar. Bis sich in Nordkorea Menschenrechte, Demokratie oder auch unabhängig denkende BürgerInnen herangebildet haben werden, gehen wohl noch Jahrzehnte ins Land. Jedoch, ein Land in der völligen Isolation zu belassen und jegliche Kontaktmöglichkeiten abzulehnen, bringt wohl noch viel weniger. Wir haben diese Einladung angenommen, um Kontakte mit Frauen des isolierten Landes zu ermöglichen.

Wir hatten ein reich befrachtetes Programm: Offizielle Besuche, Besuche von Anlässen der Union Demokratischer Frauen Koreas (KDWU), der Grenze Nord/Südkorea, von Kindergärten, Spitalabteilungen und Universitäten, von verschiedene Sehenswürdigkeiten und Landwirtschaftsprojekten, die von der Schweiz zur besseren Nahrungsmittelproduktion unterstützt werden. Beim Treffen mit dem Parlamentspräsidenten sowie der Präsidentin der nordkoreanischen Frauenunion ging es vorwiegend um Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann. Zu den Sehenswürdigkeiten gehören Häuser, Paläste und Monumente für den so genannten "ewigen Führer Kim Il Sung", unter dessen Führung 1948 die «Demokratische Volksrepublik Korea» ausgerufen wurde. Der Revolutionsführer starb 1994 und wurde 1998 zum «Ewigen Präsidenten» ausgerufen. Sein Nachfolger ist sein Sohn Kim Jong Il.

Zarte Pflanze «Dialog»
Nun kann man sich fragen, ob wir Frauen nicht einfach naiv sind, zu glauben, eine Handvoll Schweizerinnen könne in einer Woche Risse ins Betonregime zaubern. Risse waren bestimmt nicht möglich und auch nicht unser Ziel. Als Delegation ohne offizielle Funktion, deren Teilnehmerinnen zudem ihre Reise selbst berappten, planten wir denn auch keinen Umsturz von Kim Jong Il. Vielmehr glaubten und glauben wir, dass es mit internationalem Druck auf die autokratisch regierende Clique nicht getan ist. Denn Nordkorea hat starke Trümpfe, um den Druck zu ignorieren: Die Drohung, Atomwaffen fertig zu entwickeln oder sie einzusetzen; einen Massenexodus nach Südkorea und China; und neuerdings Freihandelszonen, in denen Tausende von billigen Arbeitskräften (vor allem Frauen) zu Hungerlöhnen für südkoreanische Firmen (und für die Regierungskasse Nordkoreas) schuften. Wenn es also langfristig zu einer Kursänderung in Richtung Demokratie und Menschenrechte kommen soll, braucht es auch Kontakte auf anderen Ebenen. Unsere Reise war dazu ein erster Schritt, den wir weder über- noch unterschätzen. Der Dialog, das merkten wir tagtäglich bei unseren Besuchen in öffentlichen Einrichtungen und den Begegnungen mit anderen Frauen, ist heikel und braucht eine lange Anlaufzeit.

60-jähriges Jubiläum des Gleichstellungsgesetzes
Seit 60 Jahren gibt es in Nordkorea das Gleichstellungsgesetz, das sich - wie bei uns - schön und nett anhört, aber bis zur effektiven Gleichstellung ist noch ein weiter Weg. Bildungszugang ist für Buben und Mädchen gleichermassen gewährleistet. Aber in Führungspositionen sind Frauen ebenfalls massiv untervertreten. Der Anteil dozierender Frauen an Universitäten ist allerdings unterdessen hoch. Aber in politischen Gremien ist der Frauenanteil nur rund 20 %. Frauen leiden ebenso unter der Doppelbelastung als Familienfrauen und Erwerbstätige. Anders als in China wird die Mehrkind-Familie propagiert. Erwartet wir eine gute Mutter, Ehefrau und Schwiegertochter zu sein. Mütter mit drei oder mehr Kindern werden in Nordkorea als Heldinnen gefeiert und müssen – bei gleichem Lohn – immerhin nur noch 40 statt 48 Stunden arbeiten. Tagesstrukturen sind für alle Kinder – in Gehdistanz zur Wohnung – vorhanden. Frauen werden ermuntert, mit etwa 23 zu heiraten und schnell Kinder zu bekommen. Schon im Kindergarten wird ihnen die nordkoreanische Ideologie eingetrichtert und für den Führer Verehrung abverlangt. Der Staat ist verantwortlich für Erziehung, Bildung und Ausbildung. Die engen Wohnverhältnisse – in die keine Fremden Einblick bekommen – und die schlechte Infrastruktur (Wasser- und Energieversorgung) erschweren den Alltag der Frauen.

Die Nordkoreanerinnen waren sehr bemüht, uns das wahre Nordkorea zu zeigen. Die westlichen Medien berichteten nur negativ und seien ihrem Land nicht wohlgesinnt. Wir waren als Gruppe stets begleitet worden. Keine "Westler" dürfen sich im Land frei bewegen. Auf der Fahrt an die Demarkationslinie zu Südkorea wurden wir an zahlreiche Check Points angehalten und mussten unsere Reisebewilligung vorweisen. Mich erinnerte dies an die vielen Militär Check Points durch das tibetische Hochland. Auch Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner brauchen eine Bewilligung, wenn sie die Stadt, ihren Ort, verlassen wollen. Auch deshalb sind die Autobahnen ausserhalb der Hauptstadt Pjöngjangs praktisch leer. Ein ungewohntes Gefühl. Vielleicht kommt da noch ein anderer Bus mit Schulklassen oder Militär, vielleicht auch nicht. Entlang der Autobahnen blühen Tagetes oder Echinacea.

Velofahrverbot für Frauen in der Hauptstadt!
Optisch dominieren der große Führer Kim Jong Il und sein Vater Kim Il Sung die Öffentlichkeit, das Radio und die TV-Programme. Auch die Spitze von Staat und Staatswirtschaft ist fast durchwegs männlich besetzt. Doch wie in anderen sozialistischen Ländern sind die Frauenrechte zumindest auf dem Papier sehr fortschrittlich. Im Parlament, das zwar nichts zu bestimmen hat, sitzen immerhin ein Fünftel Frauen. Von offizieller Seite wird die Gleichstellung propagiert – und, wie gewohnt, als hervorragend beschrieben. Weil die Ideologie viele Kinder bevorzugt, ist Verhütung reine Frauensache. Abtreibung ist mit sozialer und medizinischer Indikation aber trotzdem möglich. Wie nicht anders zu erwarten ist die Gleichstellung noch längst nicht Realität, was sich in absurden Vorschriften zeigt: In der Hauptstadt Pjöngjang etwa dürfen Frauen gewisse Bars nicht besuchen, in der Öffentlichkeit nicht rauchen und nicht Velo fahren. Schon fast gerührt waren wir von der Tatsache, dass die Verkehrspolizistinnen, die an Kreuzungen den Verkehr regeln, an heissen Sommertagen entlastet werden durch das Einschalten der vorhandenen Verkehrslichter, sodass sie nicht in der brütenden Hitze stehen müssen.

Vom Industrie- zum Agrarland
Hardware ist Mangelware in diesem mausarmen Land. Die Versorgung mit Medikamenten etwa ist prekär, gepflügt wird nicht mit Traktoren, sondern mit Ochsenkarren. Die Politik der Regierung ist undurchschaubar: Zum einen nimmt sie in den neuen Sonderwirtschaftszonen gutes Geld ein, zum andern sind die Monatsgehälter enorm tief. Lebensmittel und Wohnung werden angeblich allen vom Staat zur Verfügung gestellt. Ein guter Teil der Devisen dürfte für den Kauf von Waffen und für das Luxusleben der Führungsclique ausgegeben werden. Wie dramatisch die Situation in ländlichen Gegenden ist, konnten wir allerdings kaum nachprüfen, da nur wenige Reisen uns aus der Agglomeration Pjöngjangs führten. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war Nordkorea noch ein Industrieland, nach dem Koreakrieg und mit dem autoritären, isolationistischen Regime war das Ziel je länger je mehr die Selbstversorgung mit einer Landwirtschaft, die kaum über Maschinen verfügt.

Kein Zugang zu Geschäften für ausländische Reisende
Einige Programmänderungen an Ort waren auf unseren Wunsch hin möglich – und dies erstaunte uns einigermassen. Wir wurden vorinformiert, dass das gemeinsame Programm keine Änderungen zulassen werde. Möglich, dass die Frauen uns entgegen kamen, weil nach der anfänglichen Zurückhaltung bald viel Wohlwollen aufkam und wir ausserhalb der offiziellen Gespräche auch Themen ansprechen konnten, die eigentlich Tabu waren (Abtreibungen, häusliche Gewalt, Alkoholismus). Trotzdem, wir schafften es nur einmal unbegleitet zum Stadtkern – zum Bahnhof – zu gehen. Und schon bald standen die Begleiterinnen mit dem Reisebus neben uns und luden uns ein, zum Hotel zurück zu kommen. Doch wir bevorzugten den Heimweg auch zu Fuss zu machen. Das war – zwar ungern gesehen – aber möglich. Ja, wir haben viel gesehen, viel diskutiert, viele Fragen blieben auch offen. Kein Dorf konnten wir besuchen, keinen lokalen Markt besuchen, nur Souvenirläden und Kleiderboutiquen mit teuren Kleidern aus Italien und Paris. Fremden wird nur das gezeigt, was einen guten Eindruck hinterlassen soll.

Staatsideologie statt Religion
Erst nach mehrmaligem Nachfragen erhielt ich Informationen zur Bedeutung der Kirchen. Offiziell gibt es Religion nicht, denn wenn schon, dann soll man an die Juche-Ideologie glauben, die eine absolute Autarkie des Landes verkündet, und selbstverständlich an den 1998 verstorbenen «ewigen Präsidenten» Kim Il Sung und seinem amtierenden Sohn Kim Jong Il. Doch explizit verboten ist Religion ebenfalls nicht. Der Staat mischt sich angeblich nicht in religiöse Angelegenheiten ein. In der 2,7 Millionen-Hauptstadt Pjöngjang existieren je eine protestantische, eine katholische und eine russisch-orthodoxe Kirche. Dazu kommen Kontakte der Verwaltung mit den Hilfswerken von Freikirchen wie der Heilsarmee (ADRA, Campus für Christus) und Adventisten. Erst jüngst war auch wieder der Sohn des US-Predigers Billy Graham im Land. Vor zwei Jahren wurden allerdings die NGO’s wie das Schweizer Hilfswerk "Campus für Christus" des Landes verwiesen. Die Privat-Hilfswerke würden dem Feind Nummer eins, der USA, Informationen liefern, wurde begründet.

Und die Zukunft?
Ist Nordkorea also ein hoffnungsloser Fall? Kurzfristig bestimmt, vielleicht auch mittelfristig. Doch wenn wir langfristig etwas für die 23 Millionen NordkoreanerInnen tun wollen, müssen wir jetzt beginnen. Denn die Schweiz hat diesbezüglich eine außerordentliche Stellung, ausländische Diplomaten beneiden uns um die guten Kontakte zur Regierung. Regelmäßig wiesen wir bei unserem Besuch darauf hin, dass das Schweizer Parlament nur Entwicklungshilfegelder bewillige, wenn das Land transparenter werde. Vielleicht ist dieses Pochen auf Transparenz ein Mittel, um mehr Offenheit und damit auch Demokratie zu erwirken. In einem kleinen Detail hatten wir uns immerhin durchgesetzt. Anders als die meisten anderen Reisegruppen machten wir schon vor der Ankunft klar, dass wir keinen Kranz am Grab des Führervaters Kim Il Sung niederlegen würden. Zur Überraschung von Nordkorea-Routiniers wurde unser Wunsch akzeptiert.

Im nächsten oder übernächsten Jahr soll eine Delegation der Union Demokratischer Frauen Koreas zum Gegenbesuch in die Schweiz kommen. Schon jetzt drängten wir darauf, dass nicht nur Abgeordnete aus Pjöngjang, sondern auch aus ländlichen Gebieten dabei sein sollten. Ob's was bringt? Eine schlüssige Antwort habe ich nicht. Doch was bringen die Drohgebärden auf internationaler Ebene? Hat Bushs Verortung von Nordkorea auf der «Achse des Bösen» das Problem entschärft? Da bevorzuge ich doch lieber kleinste Schritte und hoffe, dass das Land irgendwann die Mauern abreißen wird.  
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