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«Politik beeinflusst direkt den Pflegealltag»
erschienen in «Krankenpflege», August 2006

Pia Hollenstein möchte Frauen Mut machen, in die Politik einzusteigen und es einfach auszuprobieren. Die grüne Toggenburger Pflegefachfrau und Berufsschullehrerin ist nach 14 Jahren aus dem Nationalrat zurückgetreten.

Frau Hollenstein, Sie waren eine der wenigen Pflegefachfrauen im eidgenössischen Parlament. Wird nicht mit Ihrem Rücktritt in einer Zeit, in der für die Pflege wichtige politische Entscheide anstehen, die Stimme der Pflege geschwächt?
Da es auch in den nächsten 50 Jahren immer wieder wichtige Entscheide geben wird, welche die Pflege betreffen, erfolgt ein Rücktritt immer zum falschen Zeitpunkt. Bisher waren wir zwei Nationalrätinnen und ein Nationalrat mit einem Pflegeberuf. Damit ist unsere Berufsgruppe im Parlament klar untervertreten.

Pia Hollenstein in der Wandelhalle des Bundeshauses
In der Wandelhalle des Bundeshauses: Die zurückgetretene Nationalrätin ruft die Frauen auf, falsche Hemmungen abzulegen und in die Politik einzusteigen. Foto: Gudrun Mariani
Krankenkassen und die Ärzteschaft, um nur zwei Gruppen zu nennen, haben eine viel breitere Interessenvertretung im Parlament. Was macht den Unterschied aus?
Die Ärzte sind sich offensichtlich besser bewusst, dass die Politik sehr viel mit ihrem Beruf zu tun hat. Bei uns Pflegenden ist das politische Bewusstsein vielerorts noch nicht so ausgeprägt. Es wird noch nicht überall erkannt, dass das Politgeschehen viel mit dem Pflegealltag,der Zukunft des Gesundheitswesens, aber auch mit unserem persönlichen Alltag zu tun hat.

Was hat die Politik ganz konkret mit dem Pflegealltag zu tun?
Das Krankenversicherungsgesetz regelt, wer Leistungen bezahlt erhalten soll. Auf Bundesebene werden die Leitlinien der Gesundheitsversorgung festgelegt. Je nachdem, wie viel Geld man dem Gesundheitswesen zufliessen lässt, und welchen Stellenwert man ihm beimisst, wirkt sich das direkt bis zur Basis aus. Wenn das Parlament zum Beispiel Palliative Care oder Komplementärmedizin als wichtig oder unwichtig einstuft, hat das ganz konkrete Auswirkungen auf die pflegerische Arbeit und die Pflegequalität, die erbracht werden kann.

Welches sind Ihre Erfahrungen im Nationalrat? Wurden die Anliegen der Pflege gehört, hat man Ihnen bei diesem Thema zugehört?
Die Anliegen der Pflegenden werden sehr wohl zur Kenntnis genommen. Seit der SBK seine politische Lobbyarbeit verstärkt hat, werden unsere Anliegen auch besser verstanden und wahrgenommen. Dank dem konnte zum Beispiel die erste schlechte Vorlage zur Pflegefinanzierung gebodigt werden.

Welchen Beitrag kann oder sollte die "gewöhnliche" Pflegefachfrau an der Basis leisten, damit die politischen Anliegen der Pflegenden auf mehr Echo stossen?
Wenn Berufsangehörige auf lokaler Ebene in Gesprächen erklären, was Pflege ist und was sie bewirkt, wenn sie Leserinnenbriefe schreiben, hat das eine Wirkung. Es ist wichtig, wie wir von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das beeinflusst auch die Entscheide in den Parlamenten. Dass dieses Bewusstsein bei den Pflegenden in der Vergangenheit nicht so ausgeprägt war, hat sicher damit zu tun, dass die Pflege ein Frauenberuf ist. Es ist noch nicht lange her, dass Politik reine Männersache war. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis wir Frauen diese geschichtliche Hypothek endgültig überwunden haben. Bremsend für politisches Engagement ist auch der Aspekt des Helferberufs. Wer in einem Helferberuf arbeitet, ist von der Persönlichkeitsstruktur her nicht primär eine Kämpferin. Das hat sich aber in den letzten Jahren geändert. Als Berufsschullehrerin stelle ich fest, dass die heutigen Jugendlichen stärker politisiert sind als dies in meiner Jugend der Fall war.

«Seit der SBK seine politische Lobbyarbeit verstärkt hat, werden die Anliegen der Pflege auch besser verstanden und wahrgenommen.»
Wie wurden Sie politisiert?
Ich stamme aus einer Politikerfamilie, mein Vater war Gemeinderat. Meine Politisierung als Teenager begann, als mein Vater sich gegen das Frauenstimmrecht aussprach. Auch mein dreijähriger Auslandeinsatz, als Leiterin eines Gesundheitszentrums im „Busch“ von Papua Neu Guinea, hatte entwicklungspolitische Aspekte. Als ich dann für das Gemeindeparlament in St. Gallen kandidierte, stand stark der Anspruch im Vordergrund, dass Frauen in gleicher Stärke wie Männer vertreten sein müssten.

Sie sind eine pointiert linke und grüne Politikern, die sich neben der Gesundheitspolitik auch in Themen wie Umwelt- und Friedenspolitik engagiert. Konnten Sie das alles unter einen Hut bringen?
Diese Frage war für mich tatsächlich immer sehr aktuell, und ich bin der Meinung, dass es eigentlich ein Berufsparlament brauchen würde, um die Arbeit gut zu machen. Für uns Grüne sind die Themen Umwelt und Gerechtigkeit zentral. Und gerade unter dem Aspekt der Gerechtigkeit konnte ich mich immer in der Gesundheitspolitik einbringen. Aber die Geschäfte sind komplizierter geworden, und es ist sehr anspruchsvoll, das mit einem Beruf unter einen Hut zu bringen.

Haben Sie vor diesem Hintergrund Verständnis dafür, dass sich eine Pflegefachfrau mit Familie nicht unbedingt zusätzlich noch politisch betätigen kann oder will?
Es ist wohl typisch, dass ich selber keine Familie habe. Aber vom politischen System her darf es natürlich nicht sein, dass man die Politik den Familienlosen überlässt. Ein zusätzliches Hindernis ist, dass sich die Frauen vor dem Einstieg in die Politik immer zuerst fragen, ob sie das überhaupt können. Aber das lernt man "on the job", es ist nur eine Frage des ersten Schritts. Auch die Männer können es nicht besser. Aber diese stellen sich im Gegensatz zu den Frauen meistens diese Frage gar nicht. Wir Frauen müssen die Hemmschwelle für die politische Mitbestimmung hinabsetzen und es einfach ausprobieren. Frauen dürfen nicht darauf verzichten.

Hat sich Ihr politisches Engagement für Sie gelohnt?
Für mich hat es sich ganz klar gelohnt. Als Politikerin kommt man zu mehr Informationen und Wissen, das ist eine höchst spannende Sache. Politisieren kann auch ganz lustvoll sein.

Was hat Sie genervt als Politikerin?
Es haben mich viele Dinge genervt. Aber das ist auch positiv. Wenn mich etwas nervt, gibt mir dies neue Energie, etwas anzupacken und zu versuchen zu ändern. Als Parlamentarierin kann ich mich äussern und andere überzeugen. Bezogen auf unseren Beruf ist es wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit als Berufsgruppe wahrgenommen werden. Und wenn man das in einem Parlament – auch in einem lokalen oder kantonalen – tun kann, hat man eine bessere Tribüne. Es hat überall Leute, die es nicht schlecht meinen, aber einfach über den Pflegeberuf schlecht informiert sind. Je mehr wir informieren, desto grösser wird das Verständnis.

«Das Bedürfnis nach fachkompetenten Diskussionen in schwierigen ethischen Situationen im Praxisalltag ist stark gewachsen.»
Wie werden sich der Pflegeberuf und der Stellenwert der Pflege aus Ihrer Sicht weiterentwickeln? Welches ist Ihre Vision?
Durch die zunehmende Politisierung der Pflegenden werden auch der Stellenwert und die Autonomie der Pflege in der Gesundheitspolitik wachsen. Palliative Care, Spitex und die Komplementärmedizin werden wichtiger werden. Wir werden uns zudem stärker mit den verschiedenen Kulturen auseinandersetzen müssen. Daher muss sich auch die Pflegeausbildung sich stärker auf die Anforderungen der multikulturellen Gesellschaft ausrichten.

Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus? Ich nehme nicht an, dass Sie nach Ihrem Rücktritt plötzlich apolitisch werden.
Ich bleibe sicher eine politische Frau. Aber in nächster Zeit wird mein begonnenes Nachdiplomstudium "Master of Advanced Studies in Applied Ethics" am Ethik-Zentrum der Universität Zürich Priorität haben.

Welches war Ihre Motivation, dieses Studium zu ergreifen?
Ich hatte in meinem Berufsalltag viel mit ethischen Fragen zu tun. Mich fasziniert der wissenschaftliche Umgang mit diesen Fragen. Und ich bin überzeugt, dass mir das persönlich und als Berufsschullehrerin sehr viel bringt. Das Bedürfnis nach fachkompetenten Diskussionen in schwierigen ethischen Situationen im Praxisalltag ist stark gewachsen.

Interview: Urs Lüthi  
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